Primera Clase
Primera Clase

Die Erste Klasse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft

Erste Klasse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft

Unmittelbar nach der Gründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft während der Weihnachtstagung 1923/24 beginnt Rudolf Steiner mit dem Aufbau der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft und ihrer Fachsektionen. Als „Seele“ und esoterischer Kern der Gesellschaft und der Sektionen werden der spirituelle Schulungsweg der Klassenstunden von ihm eingerichtet.

Der Entwicklungsweg der Ersten Klasse der Freien Hochschule besteht seit seiner Begründung durch Rudolf Steiner aus 19 durch ihn übermittelte Klassenstunden. Mit dem Entschluss zur Mitgliedschaft und Aufnahme wird ein Erkenntnisweg betreten, welcher unterschiedliche Arbeitsweisen verbindet: Zum einen eröffnet die Teilnahme an den Stunden die Möglichkeit einer individuellen Entwicklung der inneren geistigen Schulung. Zum anderen ermöglicht sie die Bildung einer tragenden Verantwortungsgemeinschaft mit anderen Menschen gegenüber den Aufgaben, die durch die Zeit gestellt sind. Auf diese Weise kann es in der Zusammenarbeit zu einem Austausch von spirituellen Fragen und Gedanken des Einzelnen mit den Lebenserfahrungen und Impulsen anderer kommen.

Ausgangspunkt für den esoterischen Weg der 1. Klasse ist die Erkenntnis, dass der Mensch als Ich-Wesen in der geistigen Welt und im Erdenleben zugleich in seiner physische Gestalt beheimatet ist. Indem er die mantrischen Bilder und Situationen dieses Erkenntnis- und Übungsweges in den Klassenstunden oder in der Meditation durchlebt, kann er sich einerseits seiner eigenen geistigen Wesenheit und seiner Verbundenheit mit der kosmisch-geistigen Welt bewusst werden. Andererseits kann er an dieser Bewusstwerdung Verwandlungsimpulse entwickeln und diese in sein irdisches, berufliches und gesellschaftliches Leben hineintragen.

Zunächst von Rudolf Steiner selbst, später vom Vorstand am Goetheanum und von der Hochschul-Leitung wurden in Ländern und Regionen Menschen beauftragt, die Arbeit an den Klassenstunden im Zusammenwirken mit den Mitgliedern der Freien Hochschule durchzuführen. Bis heute haben sich weltweit zahlreiche Hochschul-, Vermittler- und Arbeitskreise gebildet, die sich über Fragen der Arbeit innerhalb der Ersten Klasse verständigen und unterschiedliche Arbeitsformen entwickeln. Die koordinierende Arbeit in der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft gehört zu den Aufgaben der Allgemeinen Anthroposophischen Sektion und steht in enger Zusammenarbeit mit der Goetheanum-Leitung und mit den Vermittler- und Hochschulkreisen in den Ländern.


Literatur
Rudolf Steiner, Die Konstitution der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft 1923/24, Gesamtausgabe GA 260a, Dornach

Die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft – Goetheanum – Zur Einführung und Orientierung, Dornach 2021, Verlag am Goetheanum

Peter Selg/Marc Desaules (HG.), Die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft – Ihre Bedeutung und ihr Ziel, Verlag des Ita Wegmann Institutes 2018

Entstehung, Entwicklung und heutige Praxis

Anlässlich der Gründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft während der Weihnachtstagung 1923/24 beschreibt Rudolf Steiner die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft und beginnt als ihr Leiter unmittelbar danach mit ihrer Einrichtung. Dabei beabsichtigt er, sie nach drei Klassen und in Sektionen zu gliedern.

Für die Mitglieder der Ersten Klasse werden im Laufe des Jahres 1924 innerhalb der Allgemeinen Anthroposophischen Sektion insgesamt 38 esoterische Stunden (Klassenstunden) von Rudolf Steiner gehalten, davon 26 in Dornach. Diese gliedern sich in einen abgeschlossenen, grundlegenden spirituellen Lehrgang von 19 Vorträgen in der Zeit vom 15. Februar bis 2. August 1924, einige an anderen Orten gehaltene Stunden sowie in sieben weitere Stunden vom 6. bis 20. September 1924, die inhaltlich einen ersten Teil der 19 Stunden in modifizierter Form aufgreifen. Darüber hinaus plant Rudolf Steiner den Aufbau einer Zweiten und Dritten Klasse, den er infolge seiner Krankheit und seines Todes nicht mehr verwirklichen kann.

Schon seit 1904 leitet Rudolf Steiner bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges eine esoterische Schule, die in Anknüpfung an esoterische Traditionen in drei Abteilungen bestand (vgl. GA 264-266/I-III). Die drei Klassen der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft sind als Weiterentwicklung und Metamorphose dieser Schule zu verstehen.

Die von Rudolf Steiner innerhalb der Allgemeinen Anthroposophischen Sektion gehaltenen esoterischen Stunden für die Erste Klasse enthalten Meditationssprüche mit entsprechenden Erläuterungen. Er hielt streng darauf, dass die esoterischen Inhalte dieser “Michael-Schule” innerhalb eines Menschenkreises bleiben, dessen Mitglieder bestimmte Voraussetzungen erfüllen: die Entscheidung, einen meditativen Entwicklungsweg zu gehen, das Zusammenwirken zu pflegen und sich in der täglichen Lebenspraxis für die anthroposophische Arbeit einzusetzen (“Repräsentanz”) (vgl. GA 260a, S. 112 ff.). Die Stunden wurden mit Rudolf Steiners Einverständnis mitstenographiert.

Auf Grundlage der Nachschriften beginnen nach Rudolf Steiners Tod zunächst die Mitglieder des Vorstandes am Goetheanum, später auch vom Vorstand beauftragte örtliche "Lektoren", diesen esoterischen Lehrgang an Mitglieder der Ersten Klasse zu vermitteln. Bis heute haben sich weltweit zahlreiche Lektorenkreise gebildet, die sich über Fragen der Arbeit innerhalb der Ersten Klasse der Hochschule verständigen und der Leitung der Allgemeinen Anthroposophischen Sektion neue Lektoren zur Bestätigung vorschlagen. Mit der Leitung der Allgemeinen Anthroposophischen Sektion sind heute die Mitglieder des Vorstandes am Goetheanum von der Hochschulleitung beauftragt.

Neben der Form, die Inhalte der Ersten Klasse im Wortlaut Rudolf Steiners zu vermitteln, entwickelten sich die so genannten frei gehaltenen Stunden, in der die Erläuterung und die Hinführung zu den Mantren in individueller Gestaltung der Lektorin oder des Lektors vollzogen wird. Außerdem wird heute auch Gesprächsarbeit in unterschiedlicher Art gepflegt. Grundlage und Voraussetzung für diese und weitere mögliche Formen gemeinsamer Arbeit ist der individuelle meditative Umgang mit den Mantren.

Nachdem die Inhalte der Klassenstunden im Lauf der Jahrzehnte nach dem Tod Rudolf Steiners nicht allein in dem Kreis bleiben, für den sie bestimmt waren, und zum Teil in zweifelhafter Form veröffentlicht werden, publiziert die Rudolf Steiner-Nachlassverwaltung in Zusammenarbeit mit dem Vorstand am Goetheanum 1992 diese Texte innerhalb der Rudolf Steiner-Gesamtausgabe. Obwohl heute jedem diese nicht zum individuellen Studium gedachten Texte zugänglich sind, arbeiten die Hochschulmitglieder entsprechend der grundlegenden Voraussetzungen zur Mitgliedschaft in der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft (vgl. GA 260a) an diesen Inhalten, indem das gesprochene und gehörte Wort im Mittelpunkt steht.