‹Der Besucher› am Goetheanum
Ein Projektensemble der Goetheanum-Bühne inszeniert das Kammerstück ‹Der Besucher› von Éric-Emmanuel Schmitt. Ein Gespräch mit dem Regisseur Gosha Gorgoshidze.
Du probst gerade das Bühnenstück ‹Der Besucher› von Éric-Emmanuel Schmitt. Mit dem Bühnenautor Schmitt hast du dich ja schon länger beschäftigt, oder?
Gosha Gorgoshidze Das Stück ‹Der Besucher› liegt tatsächlich schon lange in meiner Schublade. Der Autor Éric-Emmanuel Schmitt wirft Fragen auf, an die man heute in der Dramaturgie kaum herangeht. Es sind Fragen nach der Spiritualität, nach der Beziehung von uns Menschen zur spirituellen Dimension. Er hat ja selbst spirituelle Erfahrungen durchgemacht. Das beschreibt er in seinem Buch ‹Nachtfeuer›. Er ging damals in der Sahara-Wüste verloren, als er mit einer Gruppe dort unterwegs war. Es erinnert an die Geschichte von Antoine de Saint-Exupéry. Er beschreibt, wie er sich in dieser Einsamkeit in alle Richtungen wenden konnte und doch nur die unendliche Wüste vor sich hatte. Er war so überwältigt von diesem Gefühl, dass er dabei in die falsche Richtung lief und seine Gruppe verlor. In der Wüste ist es am Tag so heiß, wie es in der Nacht kalt ist. Er musste sich im Sand eingraben, um der Kälte zu entgehen. In diesem Zustand erlebte er, wie er seinen Körper verließ. Seine Seele erweiterte sich und umfasste die Landschaft. Er konnte die Wärme und das Licht des Weltwesens fühlen. Dieses Erlebnis war ausschlaggebend sowohl für sein Leben als auch für seine Entscheidung, Schriftsteller zu werden.
Dabei spielen häufig religiöse Themen eine Rolle.
Ja, er hat sich mit allen großen Religionen beschäftigt und jeder Religion ein Werk gewidmet. In ‹Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran› schildert er zum Beispiel die Auseinandersetzung von Islam und Judentum. Das Spannende an Schmitt finde ich dabei, dass er tief und zugleich leicht schreibt – mich erinnert das an Mozarts Kompositionen: leicht und tief.
Er wählt dabei dramatische Umstände.
In ‹Der Besucher› führt uns Schmitt in das Wien von 1938 zur Zeit des Anschlusses an das Deutsche Reich. Sigmund Freud ist in seiner Wohnung in der Berggasse und seine Tochter wird von der Gestapo entführt. Das hat ja so stattgefunden. Nun lässt Schmitt aber noch einen weiteren Besucher auftreten, den Unbekannten. Das erinnert an Dostojewskis ‹Großinquisitor›, an Johannes Taulers oder Jakob Böhmes Begegnungen und auch an Rudolf Steiners Treffen mit seinem ‹Meister›. Plötzlich bricht eine höhere Welt herein, mit der sich das ganze Leben und die Seelenverfassung ändern. Dabei lässt der Besucher Freud völlig frei. Dazu gehört, dass dieser geheimnisvolle Besucher seine Identität nicht preisgibt. Es gibt Stellen im Stück, wo Freud beginnt, sich mit ihm zu verbinden. Sogleich geht der Unbekannte auf Abstand. Ja, es geht immer um eigenes, selbstständiges Denken, um ein individuelles Erlebnis. Auch den Zuschauenden bleibt die Frage nach der Identität des Besuchers.
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen.
Foto François Croissant