Die Heilenden heilen: Burn-out im Arztberuf
Adam Blanning ist Mitglied des neuen Leitungsteams der Medizinischen Sektion am Goetheanum. Er sprach mit Charles Cross über einen neuen Kurs, angeboten von der Physicians’ Association for Anthroposophic Medicine in den USA, bei dem es um Burn-out im Arztberuf geht.
Könntest du uns eine kurze Einführung in diese Initiative zum Burn-out im Medizinerberuf geben?
Der Kurs ist schon länger Teil der Ausbildung in Anthroposophischer Medizin. Manche belegen ihn, weil ihnen klar ist, dass sie ihren Beruf nicht länger so wie bisher ausüben können. Allerdings kommen in den letzten Jahren auch öfters Medizinstudierende, die sich für ganzheitliche oder integrative Medizin interessieren, mit Fragen wie: Wie hilft man sich selbst? Wie bleibt man resilient? Manche fühlen sich schon im ersten oder zweiten Studienjahr ausgebrannt und stellen ihr Studium infrage. Diese Erfahrung wird immer häufiger. Laut Statistiken der letzten drei bis vier Jahre fühlen sich 60 bis 70 Prozent der Ärztinnen und Ärzte ausgebrannt. Ich habe kürzlich an einer großen Integrativmedizin-Tagung teilgenommen, wo es hieß, dass, in den USA zumindest, täglich eine Ärztin oder ein Arzt wegen Burn-out Selbstmord begeht.
Das klingt, als ob die Anthroposophische Medizin von Natur aus vom Burn-out bedrohte Menschen anzieht und unterstützt.
Menschen mit Burn-out beginnen, nach anderen Perspektiven zu suchen. Auch ist es ein Zustand, bei dem man nicht umhinkommt, über Sinn und Spiritualität zu sprechen. Wir nähern uns dem 100. Geburtstag von Rudolf Steiners Jungmedizinerkurs. Einen Aspekt, den Steiner sehr direkt ansprach, ist: Wie finden wir den Willen zum Heilen in uns? Ich weiß nicht, wie es in anderen Berufen ist, aber als Arzt kommt man leicht dahin, seinen Beruf nur als Job anzusehen, wenn man sich nicht mit diesem Heilungswillen verbindet.
Ich denke auch, dass die Optionen in der Medizin limitierter und weniger werden. Am Anfang ihres Studiums haben die Menschen oft breit gefächerte Fähigkeiten und Interessen, gehen dann aber in eine Richtung, wo Gedächtnis und Effizienz den höchsten Stellenwert haben. Auch spielt die Technik eine immer größere Rolle. Vielerorts ist die Zeit, die ich als Arzt einer Patientin oder einem Patienten widmen kann, sehr limitiert: acht Minuten, zehn, zwölf Minuten. Dann ist da noch ein Computer oder Tablet, mit dem man arbeiten muss. Als Patient habe ich Glück, wenn mich die Ärztin oder der Arzt, bei denen ich Hilfe suche, überhaupt noch anschaut. Ich habe durchaus Situationen erlebt, wo ein Arzt von mir abgewandt auf der Tastatur tippte und nur über die Schulter zu mir herüberschaute. Wenn es hauptsächlich darum geht, genügend Informationen von Patientinnen und Patienten zu erhalten, um ein Formular auszufüllen, wie kann dann ein nährender Prozess stattfinden – sowohl für den Menschen, der Hilfe sucht und gehört werden will, und den, der versucht, sich zu verbinden und einen Heilprozess zu ermöglichen?
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen.
weiterlesenTitelbild Sofia Lismont