Drei Zeichen und ihre Botschaft
In der aktuellen Ausgaben des ‹Goetheanum› eröffnen Matthias Girke, Leiter - und Georg Soldner, Stellvertretender Leiter der Medizinischen Sektion am Goetheanum verschiedene Perspektiven und Aspekte zu einem geisteswissenschaftlichen Verständnis der Covid-Pandemie.
Die SARS-CoV-2-Pandemie ist ein globales Phänomen, trifft nahezu alle Menschen, wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise, führt zu erheblichen therapeutischen Herausforderungen und stellt vor diesen Hintergründen die Frage nach der ‹Botschaft› an die Menschheit, also nach einem Sinn und dem sich hierin aussprechenden Wesen der Erkrankung. Wir finden diesen Sinn, wenn wir unseren Blick über das Krankheitsgeschehen hinaus weiten. Dann steht die Frage vor uns, welche Haltung, welches Handeln eine angemessene Antwort auf diese Pandemie darstellt, welche Ebene geistiger Erkenntnis durch sie aufgerufen wird. Es geht darum, im Annehmen der Pandemie selbst eine Blickwendung zu vollziehen, die uns mit dem Entwicklungsstrom der Menschheit verbindet und einen nachhaltigen Weg in die Zukunft öffnen kann.
Gegenwärtig blickt die Öffentlichkeit gebannt auf das SARS-CoV-2 Virus, seine Entwicklung in immer neuen Mutationen. Anders als Bakterien, die über eigene Lebensprozesse verfügen, oder andere Mikroorganismen, die sogar Bewegungsphänomene zeigen, sind Viren mineralischer Natur, verfügen nicht über eigenständige Lebensprozesse. Sie brauchen vielmehr andere Wirtsorganismen, in denen sie ihre Vermehrung erreichen. Insofern haben wir es bei den Viren mit ‹geronnener› Information zu tun, die in anderen Lebewesen erst in die Sphäre der Lebensprozesse aufgenommen wird. Darüber hinaus realisiert sich in diesen Prozessen eine enorme Intelligenz. Krankheiten verfügen nicht nur über ihre körperlichen Symptome, sondern zeigen in ihren Prozessen eine oftmals bestaunenswerte Intelligenz. Diese kann sich auch in Resistenzbildungen gegenüber Antibiotika, in der Krebsbehandlung oder durch neue Mutationen im Zusammenhang mit dem auch durch die Impfung erzeugten Selektionsdruck ergeben. «Wer ist der Träger dieser Intelligenz?», ist eine oft empfundene Frage, die allerdings kaum öffentlich geäußert wird, da sie so Fragende sofort in einen Kontext vorwissenschaftlichen Krankheitsverständnisses rückt. Aber dennoch lebt diese Frage in vielen spirituell suchenden Menschen.
Gesellschaftliche Phänomene der Pandemie
Zunächst fällt das einseitig erregerfixierte Krankheitsverständnis auf, das gar nicht dem Stand wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht. In der Infektiologie kommt es nicht nur auf die Erregerexposition, sondern auf den ‹Dialog› des Menschen mit dem infektiösen Erreger, damit aber auch auf die Resilienz und die Disposition des Menschen an. Dieser einfache Zusammenhang ist seit Jahrzehnten bekannt und wurde auch von Rudolf Steiner ausgeführt, ohne dabei die Bedeutung der Erreger zu verkennen. Es geht darum, den ganzen Menschen im Blick zu behalten. In seiner Resilienz spielen das Alter, die körperliche (Vorerkrankungen, Risikofaktoren) ebenso wie die seelische und geistige Ebene eine bedeutsame Rolle. Wir müssen also einen Weg aus der «kulturellen Blickbeschränkung» (Carl Friedrich von Weizsäcker) zu einer Blickerweiterung finden, die uns Menschen als geistiges Wesen einbezieht. Heilende Kräfte brauchen eine stabile Lebensorganisation, sind mit dem seelischen Befinden und gleichermaßen mit der Selbstwirksamkeit des geistigen Ichwesens des Menschen verbunden. ‹Das Ganze sehen› bezieht sich dabei nicht nur auf den Menschen, sondern auch auf die Erde, die Naturreiche, den Makrokosmos. Denn es gibt nur eine Gesundung des Menschen auf der Grundlage der Gesundung der Umwelt, die sein Leben trägt. Gelangt man zu dieser Einsicht, fällt auf, dass bis zum Ausbruch der Pandemie die Diskrepanz zwischen dem Wissen um die menschgemachte Krise der Erde und ihrer Hüllen (Boden, Wasser, Luft und damit zusammenhängend die Wärme) stetig zugenommen, aber nur unzureichend ihren Niederschlag im menschlichen Handeln, in der bewussten Übernahme von Verantwortung für die ökologische Krise gefunden hat.
Die Corona-Krise zeigt uns wie im Negativ, wie weitgehend es uns möglich ist, Gewohnheiten zu ändern. Sie fragt damit zugleich, auf welche nachhaltigen Veränderungen es im Blick auf die Zukunft ankommt, wie die Menschheit das Leben der Erde und nachfolgender Generationen schützen kann. Dies wird nicht zuletzt durch das Leiden der Kinder unterstrichen, die das Opfer und nicht das Subjekt der Pandemiebekämpfung darstellen.
Damit berühren wir bereits eine zweite, auffallende Qualität dieser Krise, die das Soziale betrifft: Corona führt vielfach zur Polarisierung und Spaltung. Es ist berührend und gleichermaßen bedrückend, in welch intensiver und emotionaler Weise Trennung und Spaltung auch in sonst vertrauten Menschenzusammenhängen auftreten. Es kommt dabei nicht mehr zu einem fruchtbaren Austausch unterschiedlicher Sichtweisen, sondern es überwiegt emotionale Impulsivität, Ablehnung, ja Hass auf die andere Sichtweise. Digitale Medien, aber auch die algorithmische Steuerung sozialer Medien, der das Wesen der Gemeinschaftsbildung mit einem vermittelnden Begegnungsraum fremd ist, verstärken diese Tendenz. Auch das gehört zum sozialen Erscheinungsbild der Coronapandemie.
Eine dritte Qualität der Coronapandemie besteht in der pandemischen Angst und Furcht. Erschreckende Bilder aus den Medien, Nachrichten über die Ausbreitung der Pandemie mit Erkrankungszahlen und Tagesangaben zur Letalität erzeugen bei vielen Menschen eine enorme Furcht. Diese wird in der Einsamkeit der angeordneten Isolation nicht besser, sondern bedingt anderes Leid wie eine offensichtlich zunehmende häusliche Gewalt, eine unsägliche Beeinträchtigung der kindlichen Entwicklung, eine Zunahme psychischer Erkrankungen und anderer gesundheitlicher Risikofaktoren. Die negativen Auswirkungen von Isolation und Einsamkeit auf die Gesundheit des Menschen sind inzwischen gut dokumentiert.
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Website der Wochenschrift lesen.

Das Goetheanum · Ausgabe 13 · 27. März 2021
Titelbild: Hao Bu, ‹Zwei Wölfe haben die Sonne und den Mond verschluckt› (aus der nordischen Mythologie), 2018, Öl auf Leinwand, 69 × 69 cm