Eine neue Politik für Europa und die Welt

Eine neue Politik für Europa und die Welt

19 September 2022 Michaela Glöckler 2026 mal gesehen

«Wir alle sind Spieler an Bord des Schiffes Erde, und wir dürfen nicht zulassen, dass es zerstört wird. Eine zweite Arche Noah wird es nicht geben», so Michail Gorbatschow in seinem Buch ‹Perestroika› (Umgestaltung, Neuordnung), das er nach seinem Amtsantritt als Generalsekretär der Kommunistischen Partei 1985 geschrieben hat (S. 12).


Der Untertitel des Buches war vielversprechend: ‹Die zweite russische Revolution. Eine neue Politik für Europa und die Welt›. Für die Generation, die miterlebt hat, dass Gorbatschows Worten unmittelbar auch Taten folgten, grenzte dies an ein Wunder: Der Kalte Krieg mit seinem gnadenlosen Wettrüsten, der seit Jahren Europa in Angst und Schrecken hielt, wurde beendet. Danach war plötzlich auch der Weg frei für eine mögliche Wiedervereinigung Deutschlands und die Neuordnung Europas. Der bisherige Sowjetstaat zerfiel – man konnte mit einem Mal problemlos nach Russland reisen, und umgekehrt begegnete man überall in Europa begeisterten Touristinnen und Touristen aus Russland.

Das deutsche Wochenmagazin ‹Die Zeit› nannte Gorbatschow anlässlich seines Todes am 30. August 2022 «eine Ausnahmeerscheinung der Geschichte». Elena Chizhova, Schriftstellerin in Sankt Petersburg, schrieb für die ‹Neue Zürcher Zeitung› ein Feuilleton mit der Überschrift: ‹Und aus dem Osten kam ein Mensch› (‹NZZ›, 2.9.2022). Darin berichtet sie: «Natürlich war die Mehrheit unserer Bürger absolut sowjetisch geblieben. Aber meine eigene Welt veränderte sich mit kosmischer Geschwindigkeit. Im Jahr 1989 überschritt ich erstmals die Grenze der Sowjetunion. Im Zug von Leningrad nach Helsinki hatte ich ein Gefühl, das mit Worten nur schwer zu beschreiben ist: als würde ich mich beim Überqueren der stilisierten Linie des Eisernen Vorhangs nicht nur im Raum bewegen, sondern nach langjähriger hoffnungsloser Verbannung in eine ungeheuer große Welt zurückkehren. Ich glaube, in jenen Jahren entdeckte auch Gorbatschow für sich die große Welt und die westlichen Menschen. Ich erinnere mich an seinen Gesichtsausdruck, als er aus dem Auto stieg und Margaret Thatcher entgegenging: mit einem leicht befangenen, aber zugleich aufrichtigen Lächeln. In dem Moment kam mir der ‹Sozialismus mit menschlichem Antlitz› in den Sinn – ein sowjetisches Mythologem, auf das Gorbatschow in seinen Reden häufig zurückgriff. In dem Augenblick war er selbst die Verkörperung dieses Ausdrucks. Kein Wunder, vertraute ihm Margaret Thatcher: Zum ersten Mal in 70 Jahren war ‹aus dem Osten› kein abstrakter Staatsmann gekommen, leblos und undurchdringlich wie alles Sowjetische, sondern ein lebendiger Mensch.» Als Gorbatschow in Moskau im Haus der Gewerkschaften aufgebahrt war, haben sich in langer Schlange Tausende seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger von ihm verabschiedet – darunter auch erstaunlich viele junge Menschen. (Markus Ackeret aus Moskau in der NZZ vom 5.9.2022)

Gorbatschows Vision

So sehr auch der Westen von Gorbatschows politischem Engagement profitiert hat, so wenig nachhaltig war sein Engagement im eigenen Land, und er musste mit ansehen, dass gerade jetzt, am Ende seines Lebens, die Kluft zwischen West und Ost erneut tief aufgerissen ist. Wie hatte Gorbatschow es vermocht, diese Kluft während seiner Amtszeit zu überbrücken? Was war seine Vision?

Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Website der Wochenschrift lesen.