Es ist der Geist, der sich den Körper baut
Die Spanne von Ich und Leib zu überbrücken, bedeutet, das höhere Ich in das Leben hereinzuführen – eine biografische, therapeutische und christliche Aufgabe.
Immunzellen, die zwischen dem Fremden und dem Eigenen unterscheiden, reifen als spezifische T-Lymphozyten in der Thymusdrüse. Da ‹lernen› sie, das Eigene des Leibes zu ‹tolerieren› und nur gegen das ‹Fremde› aktiv zu werden. Es vollzieht in diesen Reifungsprozessen ein unterbewusstes Erkennen der eigenen Leiblichkeit, also ein ‹Erkenne dich selbst›. Selbsterkenntnis geschieht nicht nur mit der Frage ‹Wer bin ich?› im Bewusstsein, sondern zugleich in der Lebenssphäre unseres Organismus. Eine Meditation Rudolf Steiners, die zu den ‹Jungmediziner-Meditationen› gehört, beschreibt, wie der Mensch dem Hüter, jenem Wächter zwischen sinnlicher und übersinnlicher Welt, in zweifacher Weise begegnen kann, bewusst auf dem Erkenntnisweg und unter- oder unbewusst in der Leibessphäre, wo uns die Krankheit zum Ausgleich des Karmas erreicht. So ist die Frage nach der Selbsterkenntnis im Geistigen und im Leiblichen verankert und führt zu unserem Thema: ‹Wie bildet der Geist seinen Leib und wie wirkt die Ich-Organisation im Leib?›
Im Januar 1924 beginnt Rudolf Steiner eine Vortragsreihe mit dem überraschenden Titel: ‹Anthroposophie. Eine Einführung›. Hier geht es nach etwa 20 Jahren Anthroposophie noch einmal um wesentliche Aspekte dieser Geisteswissenschaft. Er beginnt mit zwei Fragen: «Wer ist dieses menschliche Wesen?», also einem Motiv des ‹Erkenne dich selbst›, und: «Was ist der Ursprung für diese menschliche Gestalt?»
Zunächst kennen wir viele Beziehungen zwischen dem Ich-Wesen und seinem Leib aus dem Alltag. Wir können innerlich und durch die Lebensführung einiges tun, um unseren Leib gesünder zu machen. Wir kennen auch das Umgekehrte: Veränderungen des Leibes haben Auswirkungen auf das Ich-Erleben und die Seele. Wie sehr verändert sich das seelische Befinden, wenn der Leib erkrankt. Ich war berührt, als ich in einer deutschen medizinischen Zeitschrift einen Artikel fand: ‹Wir brauchen eine Berührungsmedizin›. Beziehungsmedizin klingt vertraut, aber ‹Berührungsmedizin› ist etwas anderes. Hier kann man an die äußeren Anwendungen, die körperorientierten Therapien der Anthroposophischen Medizin denken, und darauf aufmerksam werden, wie sie neben den körperlichen Heilungsprozessen auch das seelische Erleben positiv verändern. So werden beispielsweise Müdigkeit, Übelkeit oder Angst weniger. Wir erfahren die Wechselbeziehungen zwischen Ich und Leib, kommen allerdings dadurch noch nicht an die tiefere Dimension von der Friedrich Schiller spricht: «Es ist der Geist, der sich den Körper baut.»(1)
Was ist dieser Geist, der vorgeburtlich den Leib bildet? Was ist dieser Leib, der mit der Geburt ins Dasein tritt?
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen.

(1) Aus: Friedrich Schiller, Wallenstein (Trilogie). Wallensteins Tod, 3. Akt, 13. Auftritt.
Titelbild Während des Workshops: Creating Bridges between Osteopathy and Art as Prevention and Treatment of Autoimmune Diseases through a Fourfold View of the Human Being (EN/ES), Foto: Xue Li