Fähig für die Leidenschaft
Zweiter Jahrgang Kunststudienjahr am Goetheanum – ab 6. Oktober 2025.
Am 20. Juni haben 17 Studentinnen und Studenten aus 9 Ländern zwischen 18 und 67 Jahren ihr Kunststudienjahr am Goetheanum abgeschlossen. Es war eine von tiefen Erfahrungen und Grenzerlebnissen geprägte Zeit. Jeder hat auf seine Weise eine Begegnung mit dem anthroposophischen Kunstimpuls gehabt und geht nun seinen Weg weiter. Vier Studierende beginnen ein Kunst- bzw. Kunsttherapiestudium. Das Kunststudienjahr am Goetheanum ist als erstes Jahr für die Kunsttherapieausbildung in Dornach anerkannt und die Alanus-Hochschule bietet die Möglichkeit, individuelle Leistungen anzuerkennen.
Inzwischen berichten die Absolventen von Ausstellungen, von Initiativen für Kunstprojekte, von eigenen Aktivitäten. Unsere jüngste Studentin, Aster de Meyer, 19 Jahre, aus Belgien, hat ihre Erfahrung in einem kleinen Text festgehalten: Was passiert, wenn wir mehr Leidenschaft für etwas haben als Fähigkeiten? Seit ich mich erinnern kann, hat sich mir das Leben immer auf künstlerische Weise genähert. Ich hatte das Gefühl, Dinge zu sehen, die niemand sonst je gesehen hatte, selbst wenn es nur das Sonnenlicht war, das in die Bäume schien, und die Art, wie die Äste der Eichen geformt waren. Der Ausdruck von Künstlern war wahrscheinlich das Interessanteste, was mir begegnete. Wie konnte jemand das Verborgene, das er sah, in etwas verwandeln, das auch andere erleben konnten? Also brauchte ich Stifte, Farben, Papier … Aber oft, bevor ich überhaupt anfing, etwas zu machen, war ich frustriert und überzeugt, dass ich niemals in der Lage sein würde, meine genaue Erfahrung der Welt für andere wahrnehmbar zu machen. Weil ich mich beim Schaffen nicht frei fühlte oder nicht wusste, wie ich mit den Materialien umgehen sollte, glaubte ich, es mangle mir an Inspiration. Zwischen Experimentieren und Kopieren hin- und herschwankend, kam das kreative Schaffen immer in Wellen.
Neun Monate lang rhythmisch mit der Kunst zu arbeiten – mit Lehrern, die auf das Geschehen in der Natur, auf Steine, Pflanzen und Wolken hinweisen –, war das größte Geschenk. Heute fühlt sich die Begegnung mit Kunst und Kreation wie ein befreiender Atemzug an. Ich bin zutiefst dankbar, dass sich mir jeden Tag etwas offenbart, das mich dazu bringt, zu meinem künstlerischen Selbst zu erwachen. Dass mein Auge das Licht und die Schatten sieht und meine Hände daraus etwas Neues erschaffen. In einem Moment ist nichts da und im nächsten hat man etwas geschaffen, von dem man sagen kann, dass es Kunst ist. Wir brauchen Zeit, Geduld, Raum, Fähigkeiten – und Lehrende, die den Künstler im Gegenüber erkennen.
Das Kunststudienjahr eignet sich für alle an Kunst und Anthroposophie Interessierten, als Orientierungsjahr für Schulabgänger, Freijahr für Lehrerinnen und Lehrer oder für Berufstätige. Man kann die Trimester einzeln besuchen. Eine Unterstützung für ein Teilstipendium steht besonders jüngeren Bewerbern und Bewerberinnen als Möglichkeit zur Verfügung.
Diese Nachricht erschien auch in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum›.
Bild Chr. Haid, B. Schnetzler, Foto: WH