Gelebte Verbindlichkeit
Peter Selg und Constanza Kaliks leiten die Allgemeine Anthroposophische Sektion am Goetheanum. Hier sprechen sie über Bild und Aufgabe der Hochschule für Geisteswissenschaft, über Verbindlichkeit und den Unterschied von Liebhaberschaft und einem Einstehen für die Anthroposophie. Die Fragen stellte Gilda Bartel.
Welche Bedeutung kann die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft eurer Ansicht nach in der Brisanz der Zeit einnehmen?
Peter Selg Hochschule meinte für Rudolf Steiner von Anfang an einen Forschungs-, Lehr-, Ausbildungs- und Praxisimpuls, wie jede Hochschule oder Universität ihn als Grundgestalt hat. Es war von 1911 an, mit dem ersten Rundschreiben für den künftigen Johannesbau, bis zu Steiners Tod eine Hochschulgründung angesichts einer massiven Kultur- und Zivilisationskrise. Es ging um eine Humanisierung des Soziallebens der Wissenschaften. Unsere Hochschule ist in der geschichtlichen Folge eine eher interne Unternehmung geworden. Seit langer Zeit wird unter ‹Hochschularbeit› an vielen Orten eine geistige Arbeit in kleinen Gruppen am Text der sogenannten 19 Klassenstunden inklusive ihrer Mantren verstanden. Für mich ist das kein kompletter Widerspruch. Wenn ich ein neues ökonomisches Modell entwickeln und die Landschaft der Ökonomie neu gestalten möchte, dann wird das aus meiner Sicht besser klappen, wenn ich ein geschulter Mensch bin. Von den ersten Schriften Rudolf Steiners an war ein Schulungsweg zur Bewältigung von Aufgaben da, und nicht lediglich zur Erlangung «höherer Welten» im Sinne eines esoterischen Refugiums. Von Anfang an gehören die Zivilisationsverantwortung und die innere Schulung zusammen. Und jetzt haben wir diese zwölf Sektionen. Aus ihnen kommen durch produktive Verarbeitung der Anthroposophie Ideen für Neugestaltungen in den verschiedensten Lebensbereichen. Es bilden sich Arbeitsgemeinschaften, die in der ganzen Welt angesiedelt sind. Menschen kommen hierher durchaus mit der Frage: Was kann uns für unsere Situation durch eine Begegnung mit dem Goetheanum für unsere Fragen eine konkrete Hilfe sein? Es gibt auch hervorragende Fachbeiträge bei den Tagungen, die in der Welt erarbeitet wurden und im Goetheanum zu Gehör gebracht und dadurch international unter interessierten Menschen bekannt werden. Die Sektionen sind also auch Wahrnehmungsorgane für das, was in dem Fachbereich hier und weltweit aus anthroposophischer Initiative oder mit anthroposophischer Perspektive geleistet wird.
Constanza Kaliks Die spirituelle Grundlage ist ein Transformationselement für die Bereiche, in denen man professionell tätig ist. Es hat sich in einigen Orten und durch viele Jahre so entwickelt, dass diese spirituelle Grundlage als einziges Ziel und einziger Inhalt dieser Hochschule verstanden worden ist, gepflegt mit viel Treue und Hingabe von vielen Menschen. Dass die transformativen Prozesse durchdrungen sein können von einer spirituellen Erkenntnissuche in den verschiedenen Lebensbereichen, dafür entwickelt sich eine wachsende Einsicht. In der Pädagogik beispielsweise wird es sehr geschätzt, dass es diese Hochschule gibt, die den Versuch macht, Leben und innere Schulung in Einklang zu bringen. Da sehe ich ein enormes Entwicklungspotenzial, aber auch die Notwendigkeit, das Bild der Hochschule deutlich zu machen. Es ist eine Hochschule mit Fachsektionen, die diese spirituelle Erkenntnis als Arbeitsgrundlage hat. Die Daseinsberechtigung einer Hochschule ist der Kontakt mit der Öffentlichkeit, ist die gesellschaftliche Brisanz der gestellten Fragen. Eine spirituelle Schulung gehört nicht unmittelbar in die Öffentlichkeit. Aber sie dient diesen transformativen Prozessen. Die Goetheanumleitung und die Sektionen arbeiten intensiv an einer Verdeutlichung dieses Auftrages.
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen. Falls Sie noch kein Abonnent sind, können Sie die Wochenschrift für 1 CHF/€ kennenlernen.
Foto Xue Li, Bildmontage: Fabian Roschka