Ich schließe die Augen, und innere Bilder tauchen auf
Für die Eurythmie in der ‹Faust›-Inszenierung 2025 führt Rafael Tavares die Regie. Im Gespräch mit Wolfgang Held.
Was habt ihr heute geprobt?
Rafael Tavares Ich komme gerade aus einer Probe zu ‹Faust II›, klassische Walpurgisnacht. Da begegnet Mephisto den Lamien, griechischen thessalischen Hexen. Da geht es weniger um die einzelne Gestalt, als vielmehr um den Raum, den diese griechischen Unwesen mythisch um sich bilden. Mephisto möchte sie greifen, und in dem Moment verwandeln sie ihren Schein in Physis. Das wollen wir zeigen, also dass die ganze Bewegungsart sich in solch einem Moment wandelt. Im Augenblick der Berührung wird die Bewegung physischer. Das ist ja überhaupt die Spannung zwischen Schauspiel und Eurythmie. Mephisto graust es vor diesen Wesen, weil Verwandlung an sich, Metamorphose und Lebendigkeit, Mephisto-untypisch sind und nicht seinem Wesen entsprechen. Er aus dem ‹Norden› ist gewohnt, dass seit Jahrhunderten alles gleich bleibt. Er rechnet nicht mit Entwicklung.
Was ist dir bei der Ensemblearbeit eurythmisch wichtig?
Wenn mehrere Eurythmistinnen und Eurythmisten auf der Bühne sind und solche Wesen wie die Lamien darstellen, dann geht es nicht nur darum, sich zu bewegen, sondern tatsächlich gilt es, einen gemeinsamen Raum zu bewegen. Die Eurythmie hat da ein Mittel: Sie kann zeigen, dass die fünf Gestalten, die diese Lamien darstellen, zusammenfließen zu einer Qualität. Dabei spielt die Empfindung eine große Rolle. Wenn wir mit unserem Bewusstsein unsere Empfindung so lenken, dass sie durch die Art der rhythmischen Bewegung den Raum weich werden lässt, dann können wir ihn mit der Eurythmie so wandeln, dass das für das Publikum zum Erlebnis wird. Du musst nicht hellsichtig sein, um das zu sehen, sondern das bemerkst du in oder am eigenen Körper. Das geschieht dann durch die ganze eurythmische Gruppe, und dazu muss sie sich chorisch zusammen bewegen. In dieser Chorarbeit ist es mir wichtig, darauf zu achten, dass niemand herausfällt, sondern dass wir alle im Boot haben. Dafür ist das gemeinsame Bild die Brücke.
Wie entsteht ein gemeinsames Bild?
Im dritten Akt gibt es den Chor der Troerinnen am Hof von Sparta. Zu neunt sind sie auf der Bühne, und das lässt diese chorische Fülle entstehen. Auch da zählt die Bewegung aller, die durch die gemeinsame Geschichte, das gemeinsame Bild, zu einem Ganzen wird. Wenn wir bei der Szene bleiben: Dann tritt eine der Troerinnen heraus, das ist Panthalis, die Chorführerin. Hier deutet sich bereits das Individuelle an; sie wird auch als die Älteste beschrieben – man könnte sagen, als die Reifste im Chor. Dadurch erscheint sie auf dem Weg, sich als Individuum zu empfinden. Diesem Chorischen steht Helena als einzelne, individuelle Figur gegenüber. Helena selbst kommt im Laufe der Szene zu einem Ich-Bewusstsein.
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen. Falls Sie noch kein Abonnent sind, können Sie die Wochenschrift für 1 CHF/€ kennenlernen.
Faust 2025 im Goetheanum
10.–12. Oktober
18.–19. Oktober
25.–26. Oktober
Tickets faust.jetzt
Inszenierung: Andrea Pfaehler, Eurythmie: Rafael Tavares, Co-Regie: Isabelle Fortagne, Dramaturgie: Wolfgang Held, Musik: Balz Aliesch, Licht: Thomas Stott / Dominique Lorenz, Bühnenbild: Nils Frischknecht, Kostüme: Julia Strahl
Foto Xue Li