Tagung zu Rilkes orphischen Wegen

Tagung zu Rilkes orphischen Wegen

23 Februar 2020 Sebastian Jüngel 2470 mal gesehen

Wechselnde Aufenthalte in der digitalen und der realen Welt, Aufbrüche, Abschiede von Vertrautem und Reisen ins Unbekannte prägen das heutige Leben. Rainer Maria Rilke reflektiert solch eine Lebensstimmung in seinem Werk, lebte selbst in zwei Welten.


Christiane Haid beeindruckt, wie sehr Rainer Maria Rilke das heutige Lebensgefühl vorwegnahm: «Wir lernen an ihm, souverän zwischen verschiedenen Welten zu wechseln.» Damit bezieht sich die Leiterin der Sektion für Schöne Wissenschaften am Goetheanum auf die Praxis, ständig zwischen realer und geistiger Welt zu wechseln, «dem Erleben eines von keiner Räumlichkeit geprägten Orts».

In einer Schaffenskrise von 1912 bis 1922 war Rainer Maria Rilke zudem durch den Ersten Weltkrieg innerlich tief verwundet und suchte in der Schweiz Ruhe. 1920 besuchte der Dichter das im Bau befindliche Goetheanum in Dornach, Schweiz. «Die Inhalte der Anthroposophie, ihre Sprache und auch das Goetheanum selbst blieben ihm fremd, obwohl seine eigenen Bilder dieselbe Welt ansprechen», so Christiane Haid. Dabei hielt Rainer Maria Rilke freundschaftliche Beziehungen zu anthroposophischen Künstlern wie Alexander von Bernus, Albert Steffen, Hans Reinhart und Elya Nevar, deren Briefwechsel mit Rainer Maria Rilke das Goetheanum-Archiv besitzt (2018 unter dem Titel ‹Dichter und Prinzessin› im Verlag am Goetheanum herausgegeben).

1922 schickte Rainer Maria Rilke seine Geliebte Baladine Klossowska nach Hause, um im Wallis ungestört dichten zu können. Sie ließ bei ihm einen Stich der Federzeichnung ‹Orpheus› von Giovanni Battista Cima da Conegliano zurück, der den Anstoß für die ‹Sonette an Orpheus› gab. Schlagartig findet das, was Rainer Maria Rilke bewegte, im Februar 1922 in den ‹Sonetten an Orpheus› und ‹Duineser Elegien› seine Darstellungsform: «Wann aber sind wir?», fragt der Dichter im dritten Sonett und benennt «Gesang als Dasein» und das «Wehn im Gott» als Lebenserlebnisse.


Tagung ‹Gesang, wie du ihn lehrst, ist nicht Begehr …›. Rilkes orphische Wege. Zu Leben und Werk Rainer Maria Rilkes (mit Beiträgen zu ‹Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge›, ‹Briefe an einen jungen Dichter›, Requiem-Dichtungen und anderem), 28. Februar bis 1. März 2020, Goetheanum

Web www.goetheanum.org/tagungen/ri...

Buch Dichter und Prinzessin (Briefe von Rainer Maria Rilke und Elya Maria Nevar), www.goetheanum-verlag.ch/nc/ei...