Liebe ist immer praktisch

Liebe ist immer praktisch

12 September 2022 Constanza Kaliks & Philipp Reubke 1172 mal gesehen

Constanza Kaliks und Philipp Reubke leiten die Pädagogische Sektion am Goetheanum. Sie sprachen in der Reihe ‹Anthroposophie – eine Erweiterung der Wissenschaft?› über die Pädagogik als Ermöglichung des noch nicht Dagewesenen. Es ist eine Gratwanderung, zwischen der gewordenen Welt und der noch unbekannten Zukunft des Kindes zu vermitteln.


Der Ansatz Rudolf Steiners, aus dem die Waldorfschulbewegung entstand und sich entwickelte, ist eine Pädagogik, die sich an der Erkenntnis des Menschen orientiert. Ihr Ausgangspunkt ist das Ringen um Menschenerkenntnis – die curricularen Entscheidungen, die methodischen und didaktischen Richtlinien, sie folgen dieser Erkenntnis. Die Menschenerkenntnis bleibt nicht außerhalb des Handelnden, der dann nur ein Ausführender wäre, sondern lebt in demjenigen, der die Verantwortung für die Pädagogik übernimmt. Wäre es anders, so würde sich das pädagogische Handeln an normativen Anweisungen orientieren, die gesetzt und mehrheitlich nicht in der Wirklichkeit des jeweiligen Kindes und jungen Menschen verankert sind. Prägend sind dann ökonomische Interessen oder naturwissenschaftliche Paradigmen, die in die Humanwissenschaften hereingetragen werden, ein Normatives und Verallgemeinerndes. Das einzelne Kind, der singuläre junge Mensch werden dort als ein Beispiel der über ihnen stehenden, determinierenden Allgemeinheit gesehen.

Die Kritik an einem solchen reduktionistischen Weltbild und an seinen Konsequenzen macht sich im pädagogischen Bereich heute weltweit geltend, auch im akademischen Diskurs; sie wird jedoch in den praktischen Umsetzungen nur selten berücksichtigt, die sich ganz überwiegend an ökonomische Prinzipien in den Erziehungssystemen orientieren.

Das von Rudolf Steiner früh erkannte Problem hat an Intensität und Verbreitung dramatisch zugenommen und wird gegenwärtig von vielen Seiten artikuliert. Am 29. Januar 2022 sprach der hundertjährige Edgar Morin in einem Interview der brasilianischen Zeitschrift ‹Revista Prosa e Arte› von der Notwendigkeit der Erkenntnis des Menschen. Morin, ein französischer Philosoph und Soziologe, der wichtige Perspektiven zur Erziehung des 21. Jahrhunderts entwickelt hat, wandte sich schon in den 1970er-Jahren gegen den wissenschaftlichen Reduktionismus der Naturwissenschaften in seiner paradigmatischen Bedeutung: «Das Tragische an unserem derzeitigen Wissenssystem ist, dass es das Wissen so sehr aufspaltet, dass wir uns diese Fragen nicht stellen können. Wenn wir fragen: ‹Was ist der Mensch?›, werden wir keine Antworten bekommen, weil die verschiedenen Antworten verstreut sind. Und genau das ist es, was ich als komplexes Denken bezeichne, ein Denken, das einzelne Teile des Wissens zusammenführt. [...]

Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Website der Wochenschrift lesen.

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