Nicht nur rechnen, auch spüren

Nicht nur rechnen, auch spüren

11 Dezember 2020 Ueli Hurter 1367 mal gesehen

Kürzlich wurde die ‹Konzernverantwortungsinitiative› in der Schweiz verworfen. Obwohl die Schweizerinnen und Schweizer mit einem knappen «Ja» für die Konzernverantwortungs-Initiative stimmten, scheiterte die Durchsetzung letztlich am «Nein » des Ständerats. ‹Das Goetheanum› sprach darüber mit Ueli Hurter, Vorstand und Leiter der Sektion für Landwirtschaft.


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Ueli Hurter: Zwar haben mehr als 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die Initiative gestimmt, aber nicht die Hälfte der Kantone. Dieses sogenannte Ständemehr wurde nicht erreicht, ist aber in der föderalistischen Schweiz notwendig, wenn man per Volksinitiative eine Verfassungsänderung erreichen möchte. Das ist eine hohe Hürde, die aus unserer Perspektive zuletzt das Moratorium für Gentechnik in der Landwirtschaft im Jahr 2005 nehmen konnte. Hier ist es jetzt nicht gelungen. Das Ergebnis zeigte allerdings, dass die Idee, die Unternehmen in ihren weltweiten Aktivitäten haften zu lassen, eine Mehrheit findet. Die kleinen Kantone, die in der östlichen Zentralschweiz liegen, sind konservativ und stimmen bei solch einer Initiative eher dagegen. Dafür ist die Enttäuschung in der Westschweiz groß, ebenso im Ausland. So sagte mein Kollege in der Sektion für Landwirtschaft Jean-Michel Florin, dass die Schweiz hier als kleines unabhängiges Land als Vorreiter sich hätte profilieren können. 24 000 internationale Unternehmen haben hier ihren Sitz. Umgekehrt sagen politische Beobachter wie Hugo Stamm, dass solch ein Ergebnis sensationell gut sei, weil das Volksmehr ja erreicht wurde.

Die kleinen Kantone bilden zusammen nur 18 Prozent der Bevölkerung und können hier doch den Ausschlag geben.

Tatsächlich wiegt eine Stimme eines kleinen Kantons wie Appenzell für das Ständemehr hundertmal stärker als eine Stimme aus Zürich. Das mag zu extrem sein, das Prinzip dahinter ist dennoch wertvoll und gehört zur politischen Kultur in der Schweiz. Es besagt, dass die Mehrheit nicht per se zu bestimmen hat, sondern auch das Votum einer Minderheit ‹nicht falsch› ist. Das ist der Geist des Föderalismus und auch der Konkordanz, dass man jedem einräumt, im Recht zu sein – qualitativ auch, wenn er oder sie numerisch eine Minderheit ist. Ist dieses Prinzip einmal erkannt, bedeutet es, dass man weniger rechnet, dafür mehr ‹spürt›.

Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Website der Wochenschrift lesen.

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Das Goetheanum · Ausgabe 50 · 11. Dezember 2020