Offener Leserbrief: Anthroposophie ist in ihrem Wesen und ihrer Praxis antirassistisch

Offener Leserbrief: Anthroposophie ist in ihrem Wesen und ihrer Praxis antirassistisch

10 September 2020 Peter Selg 7180 mal gesehen

‹Reichsbürger› und andere rechte Gruppierungen haben die Berliner Großdemonstration gegen die Coronamaßnahmen am 29. August 2020 für ihre Zwecke zu nutzen versucht – und dafür viel Raum in den Medien bekommen, die der Coronaprotestbewegung insgesamt eine Verbindung nach Rechtsaußen unterstellen.


An Bekenntnissen zur Spiritualität, die in der Protestbewegung immer wieder geäußert werden, stoßen sich einige Kommentatoren besonders und behaupten dabei eine genuine Verbindung von ‹Esoterik› und rechten Ideologien – ausdrücklich auch für die Anthroposophie. Die schärfste Polemik formulierte Annika Brockschmidt unter der Überschrift ‹Sind das jetzt alles Nazis?› am 1. September 2020 in ‹Zeit online›. Peter Selg widerspricht in einem offenen Brief im ‹Goetheanum› an Redaktionsleitung und Herausgeber der ‹Zeit›.

«Die Autorin behauptet, ein rassistischer Gedankenkern durchziehe das anthroposophische Werk Rudolf Steiners», so Peter Selg. «Bis zum Verbot der Anthroposophischen Gesellschaft im November 1935 seien die Anthroposophen mit den Nationalsozialisten in eine «gemeinsame Sache» vereint gewesen und hätten die Weimarer Republik, die Demokratie, den Pluralismus und den Parlamentarismus abgelehnt. Diese Behauptungen sind unzutreffend, ja vollkommen abwegig. Sie zeugen von einer eklatanten Unkenntnis der Anthroposophie sowie der historisch-wissenschaftlichen Literatur zu diesen Themenkomplexen.»

In seinem Leserbrief begründet Peter Selg ausführlich, wieso Annika Brockschmidt falsche Bilder verbreitet, und stellt fest: «Indem Brockschmidt beansprucht, aus dem Stegreif die gesamte ‹moderne Esoterik›, die gesamte Anthroposophie und die Anthroposophen als Gruppe beurteilen zu können, sie in ein schiefes Licht stellt und ihnen eine Nähe zu rechtsradikalen, rassistischen und antisemitischen Kräften unterschiebt, bewegt sie sich selbst auf dem Feld der Diskriminierung und des Extremismus.»

So schließt Peter Selg mit der Frage ab: «Aus welchem Grund lässt sich die ‹Zeit› auf ein derart niedriges Niveau herab und publiziert den so dürftigen und problematischen Artikel einer freien Mitarbeiterin, ohne der journalistischen Sorgfaltspflicht, die darin geäußerten Fakten gründlich zu überprüfen, auch nur ansatzweise Genüge zu tun?»

Peter Selg ist Psychiater, Mitglied der Goetheanumleitung und Leiter des Ita-Wegman-Instituts für anthroposophische Grundlagenforschung. Der Leserbrief von Peter Selg kann im ‹Goetheanum› vollständig gelesen werden.