Rudolf Steiner - Scharlatan oder zukunftsweisender Reformer?
Zum Interview von Patrick Tschan, Autor des Bühnenstückes ‹ Zünder› auf Zeitonline 17. August von Gerald Häfner, Mitglied der Goetheanumleitung.
Patrick Tschan arbeitet in seinem am 15. August 2024 erstmals zur Aufführung gekommenen Stück ‹Zünder› Konflikte des frühen 20. Jahrhunderts heraus. Die beiden Spielstätten – ehemalige Munitionsfabrik und Zentrum einer kulturellen Reformbewegung, die Schreinerei am Goetheanum – geben einen eindrücklichen Schauplatz für das im Spannungsfeld zwischen Arbeiterklasse und Bildungsbürgertum, kriegsnotwendiger physischer und friedensnotwendiger geistiger Arbeit sowie den Wirkungen von Nationalismus und Krieg angesiedelte Stück ab.
Es ist zu verstehen, dass der Autor bestrebt ist, seinem Stück größtmögliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Ob es dafür nötig ist, Rudolf Steiner sachwidrig als «einen der großen Scharlatane des 20. Jahrhunderts« und im Zusammenhang mit der Gründung der Waldorfschulen, der anthroposophischen Medizin und der biodynamischen Landwirtschaft als «sehr guten Geschäftsmann« zu bezeichnen, kann dahingestellt bleiben. Richtig ist es nicht! Die Unterstellungen sind falsch.
Rudolf Steiner war kein Scharlatan. Er täuschte die Öffentlichkeit nicht über sein Wissen, sondern teilte es. Wäre er ein Scharlatan gewesen, wären die Waldorfschulen, die biodynamische Landwirtschaft, die anthroposophische Medizin ohne Erfolg geblieben. Das Gegenteil ist der Fall. Sie sind bis heute weltweit erfolgreich und millionenfach bewährt.
Alle diese Gründungen geschahen nicht aus Eigeninteresse, sondern um Menschen und Erde zu helfen. Sie arbeiteten und arbeiten nicht profitorientiert, sondern Gemeinwohl-orientiert.
Rudolf Steiner erklärte beim neu entstehenden Goetheanum auch nicht «Weltabgeschiedenheit zum Heilsversprechen», wie Patrick Tschan wahrheitswidrig unterstellt, sondern arbeitete Lösungen zur Beendigung des Krieges für einen dauerhaften Frieden in Europa. Sein Ziel war, die Gegensätze zwischen Menschen, den Nationen und auch zwischen Menschen und Umwelt durch vertieftes gegenseitiges Verständnis und durch eine neue, Freiheit, Demokratie und Sozialität verbindende Gesellschaftsordnung zu überwinden. Er war einer der weitblickendsten Sozialreformer des 20. Jahrhunderts und einer der ersten Ökologen.
Auch die von Tschan genannten Initiativen «Waldorfschulen, Weleda und biodynamische Landwirtschaft» sind nicht Ausdruck von Weltabgeschiedenheit sondern Beweise des Gegenteils. Sie stehen für eine umfassende, praktische und erfolgreiche Reformbewegung. Apropos: Wo ist unser Kulturleben gelandet, wenn für umfassende Reformen stehende Menschen als Scharlatane dargestellt werden?
Nachtrag: Patrick Tschan hat unmittelbar vor der Premiere seines Stücks ‹Zünder› eine Erklärung abgegeben. In ihr bezieht er sich auf den Artikel in der ‹Zeit› Nr. 35/2024, in dem er Rudolf Steiner als Scharlatan bezeichne. Patrick Tschan hält dazu fest: «Dafür möchte ich mich entschuldigen, denn es entspricht nicht meiner Meinung. Ich habe Steiner im Gespräch als ‹umstrittene Figur› bezeichnet. Das gilt ja für alle Persönlichkeiten, die sich mit eigenen Ideen hervortun und damit der Zeit voraus sind. Wären sie nicht umstritten, würde man auch kein Theaterstück schreiben, das sich mit diesen Ideen auseinandersetzt. Beim Autorisieren der Zitate ist mir das irgendwie im ganzen Chaos vor der Premiere durchgeschlüpft. Das tut mir unendlich leid. Das ist unprofessionell. Rudolf Steiner ist kein Scharlatan. Er und die gesamte Anthroposophische Bewegung haben Grossartiges geschaffen. Das Wichtigste von allem ist, dass das Menschsein dabei im Mittelpunkt steht. Mensch sein, mit all seinen Möglichkeiten, mit all seinen Fehlern. Darum geht es auch in diesem Stück. Ich möchte mich hiermit nochmals in aller Form von meiner Aussage distanzieren.»