Spannungen zwischen den Mächten des Menschseins

Spannungen zwischen den Mächten des Menschseins

14 Februar 2025 Nathaniel Williams 268 mal gesehen

Macht, Einfluss und Reichtum der USA machten die Amtseinführung von Donald Trump zu einem globalen Ereignis. Menschen auf der ganzen Welt schauten zu und fragten sich: Was bedeutet das? Wonach fragt es in mir?


Der neue Präsident kündigte eine ‹Revolution des gesunden Menschenverstands› an, ein Motiv, das gerade überall widerhallt. Seine Revolution meint jedoch eine Priorisierung nationaler Interessen, die Ausbeutung energiereicher natürlicher Ressourcen, eine Zunahme der Industrialisierung und des Konsumverhaltens sowie des Wettbewerbs mit anderen Ländern.

In einem Zeitalter außergewöhnlicher wissenschaftlicher und technologischer Macht mag die Sorge um den gesunden Menschenverstand vielen befremdlich vorkommen. Darüber wunderten sich auch alteingesessene Politiker und Politikerinnen, die sowohl in der republikanischen als auch in der demokratischen Partei verdrängt worden waren. Seit mehr als einem Jahrhundert suchen Denker und Denkerinnen nach Wegen, die instrumentelle, wirtschaftliche und technologische Rationalität besser mit Werten und Qualitäten des menschlichen Maßes und mit dem Leben selbst zu verbinden. Dies ist das Herzstück der Soziologie Max Webers. Es steht im Mittelpunkt der Anliegen der ‹neuen Linken›, Hannah Arendts ‹Vita activa› im Gegensatz zur ‹Vita contemplativa›, und der Neokonservativen, die in letzter Zeit ihre Machtpositionen aufgeben mussten. In unterschiedlicher Weise schauen sie alle auf diese ‹Intelligenz›, die das menschliche Leben auf der Erde umgestaltet (definiert als Fortschritt) und zugleich den ethischen Bedenken, Fähigkeiten und Werten des Menschen widerspricht und sie untergräbt. Diese ‹neue Intelligenz› entfaltet sich durch die Faszination für Logik und Mathematik und die Praxis des Testens von Hypothesen und des Experimentierens. Sie wird assoziiert mit einer Vision der Welt als große Maschine, die durch Berechnung kontrolliert und manipuliert werden kann, wobei allen Phänomenen abstrakte Funktionen zugewiesen werden. Diese Form des Wissens ist von Natur aus auf Herrschaft und bewusste oder unbewusste Unterwerfung des Einzelnen unter ein rationales System ausgerichtet. Die hochgradig disziplinierten und spezialisierten Formen der modernen instrumentellen Vernunft finden ihren Ausdruck in einer Kultur des ‹Expertentums›. Eine spannungsgeladene Kluft ist dabei entstanden zwischen aktuell bestmöglichen technologischen Wissenschaftspraktiken und ‹gesundem Menschenverstand›.

In den Klüften

Wenn wir nicht wissen, woraus unsere grundlegenden Wirtschaftsgüter und Waren gemacht werden oder wie sie richtig entsorgt werden können, entsteht eine Spannung zwischen gesundem Menschenverstand und Fachwissen. Wie ist ein umfassendes Verständnis der schlechten Abbaubarkeit unserer genutzten Kunststoffe und der ökologischen Krise möglich, wenn die meisten Menschen über die grundlegendste Materialität ihrer täglich genutzten Produkte im Unklaren sind? Das gilt für Einwegbecher wie für unsere Telefone, die für die meisten von uns ein Rätsel sind.

2009 wurde deutlich, dass hart arbeitende Menschen, die ihr Geld sparen oder investieren, durch die Aktivitäten des Finanzsektors alles verlieren können, während Letzterer von Steuerzahlenden finanzierte Rettungsgelder erhält. Für viele ist dies ein Beispiel für einen hoch spezialisierten Ansatz in der ‹Wirtschaftswissenschaft›, der den gesunden Menschenverstand weitgehend ausschließt und verlangt, dass wirtschaftliche Entscheidungen von Experten diskutiert und entschieden werden. Etwas Ähnliches können wir im Gesundheitswesen beobachten. In den USA, einem Land, in dem die meisten Menschen religiös oder spirituell orientiert sind, verlangten die Vorschriften des öffentlichen Gesundheitswesens im Zusammenhang mit Covid-19 von Menschen, dass sie ihre sterbenden Angehörigen im Stich lassen. Menschen wurden angewiesen, nicht zur Arbeit zu gehen, mit der rationalen Begründung, dies würde Leben retten, obwohl sie arbeiten müssen, um ihr Leben und das ihrer Kinder zu sichern. Auch hier kann man verstehen, dass viele dies als einen Konflikt zwischen ‹gesundem Menschenverstand› und dem Diktat von Fachleuten empfanden. Gerade werden entlassene Militäroffiziere begnadigt, die Impfungen verweigerten. Und Robert Kennedy Jr., der sich in vielerlei Hinsicht gegen die Expertisekultur im Gesundheitswesen wendet, wurde für die Leitung des Gesundheitsministeriums nominiert.

Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen. Falls Sie noch kein Abonnent sind, können Sie die Wochenschrift für 1 CHF/€ kennenlernen.


Bild Ella Lapointe, Election 2024