Weltweit Waldorf: Wo ist das Zentrum?

Weltweit Waldorf: Wo ist das Zentrum?

11 Mai 2023 Sven Saar 1704 mal gesehen

Sollten sich Lehrpläne in anderen Ländern an einem europäischen Ideal orientieren? Gibt es dieses überhaupt? Und was können europäische Waldorfschulen von außereuropäischen Kulturen lernen? Sven Saar, international in der pädagogischen Fortbildung tätig, stellt Fragen.


Sollen die Oberuferer Weihnachtsspiele in japanischen Waldorfschulen aufgeführt werden? Macht es Sinn, wenn philippinische Kinder mit aus Europa importierter Wolle Strümpfe stricken (die dort niemand trägt), weil es eben in der fünften Klasse auf dem Lehrplan steht? Wie verhält man sich als Mentor, wenn eine thailändische Kollegin fragt: «Was darf ich denn in der vierten Klasse außer der nordischen Mythologie noch erzählen?» Hier geht es nicht nur um das Beantworten der Frage. Dass sie überhaupt gestellt wird, offenbart ein Statusgefälle, das sich zu untersuchen lohnt.

In der ersten Phase der weltweiten Ausbreitung der Waldorfpädagogik haben erfahrene und weise Lehrende jahrzehntelang mit Überzeugungskraft ihre erprobte Praxis in Länder getragen, in denen sie bei den Eltern auf offene Ohren und Herzen und Pioniergeist stießen. Waldorfschulen wuchsen schnell in Hauptstädten, mit einer enthusiastischen Klientel aus der gebildeten Mittelschicht und aus Europa Emigrierte, die hier vertraute Werte sowie einen international erprobten, am Kind orientierten Lehrplan vorfanden. Viele dieser Schulen führen heute erfolgreich zum Abitur, leisten eindrucksvolle künstlerische Arbeit und sind finanziell wie sozial stabil und etabliert. Und doch hört man in ihnen Fragen wie die obigen, die zeigen, dass sich dort arbeitende Menschen oft in einer Art Importkultur erleben und mehr oder weniger akzeptiert haben, dass das, was örtlich als Weisheit und Tradition lebt, dem europäischen Waldorfstil unterlegen sei.

Aus Unwissenheit Leid erzeugt

Erschwerend kommt auch nach Jahrzehnten das Problem hinzu, dass wegen mangelnder staatlicher Unterstützung nur wenige dieser Länder in der Lage sind, gründliche Ausbildungen zu finanzieren. Daher finden sich viele – das ist auch in Europa nicht fremd – direkt nach dem ersten Kennenlernen der Waldorfwelt schon in der Verantwortung und sind mehr an Klassenzimmerstrategien als an Grundlagen interessiert. Um den täglichen Ablauf zu sichern, braucht man Orientierung. Da kommt eine Liste von Traditionen gelegen, so ausländisch und oft altmodisch sie auch erscheinen mag.

Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen.

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