Wie lässt sich Anthroposophie definieren?

Wie lässt sich Anthroposophie definieren?

10 Januar 2023 Louis Defèche 1655 mal gesehen

Der Beer-Verlag hat 2022 ein Werk von Ignaz Troxler neu aufgelegt, in dem aphoristische Fragmente unter dem Titel ‹Die Gewissheit des Geistes› zusammengefasst sind. Dieses Buch bildet ein wesentliches Dokument für die Arbeit an den Quellen und den grundlegenden Konzepten der Anthroposophie. Zudem ermöglicht es, die allzu oft vergessene Persönlichkeit von Ignaz Troxler, diesem frühen Anthroposophen, wieder in den Vordergrund zu rücken.


Anthroposophie zu definieren ist nicht einfach. Auf diesem Forschungsgebiet kann Ignaz Troxler (1780–1866) als Schlüsselfigur betrachtet werden. Der Schweizer Arzt und Philosoph kann zu Recht als ‹Anthroposoph› bezeichnet werden, da er sich bemüht hat, die Bedeutung und die Grundlage einer Anthroposophie zu formulieren. Während Rudolf Steiner allgemein als Begründer der Anthroposophie beschrieben wird, stellt Troxlers historische Gestalt diese Aussage infrage, da er vor Steiner gelebt hat. Es scheint angemessen zu sein, Troxler und sein Werk nicht zu vergessen, wenn man zu den Ursprüngen der Anthroposophie zurückkehren will. Auch Rudolf Steiner selbst hat Troxler immer wieder erwähnt und bedauert, dass sein Name in Vergessenheit geraten war. 1916 betont er, dass die Präsenz der Anthroposophie auf Schweizer Boden keine Neuheit ist, sondern dass sie bereits vorhanden war, bevor das Goetheanum sich dort niederließ, und dass sie gerade bei Ignaz Troxler zu finden war, der «eine schöne, herrliche Definition der Anthroposophie» zu formulieren wusste.(1)

Eine ursprüngliche Anthroposophie

Die Ursprünge der Anthroposophie verweisen natürlich zunächst auf die Künstler und Denker der Goethe-Zeit, auf die Naturphilosophie und die deutschen Idealisten. Das Wort ‹Anthroposophie› findet sich jedoch weder bei Goethe noch bei Novalis, Schiller, Hegel, Fichte und nur am Rande bei Schelling. Der Begriff taucht bei verschiedenen Denkern des 19. Jahrhunderts auf, aber es ist das Werk von Ignaz Troxler, in dem die Idee und das Wort ‹Anthroposophie› wirklich zum Tragen kommen. Troxler war Schüler von Hegel und Schelling und freundete sich sogar mit Letzterem an. Er hatte die Gelegenheit, alle Früchte dieser Goethe-Zeit in sich aufzunehmen, und er entwarf gleichsam eine Synthese daraus, und diese Synthese nannte er ‹Anthroposophie›.

Die von Frieder Sprich im Beer-Verlag neu herausgegebene Sammlung enthält die zahlreichen Aphorismen von Ignaz Troxler, die bereits für die Ausgabe von 1958 im Verlag Freies Geistesleben von Willi Aeppli gesammelt und geordnet wurden. Die Reihenfolge wurde etwas umgestellt und die Fragmente wurden mit zahlreichen Kommentaren versehen. Ein Überblick über die einzelnen Kapitel lässt bereits eine für die Anthroposophie typische Themenlandschaft erkennen, beginnend mit der ‹Erkenntnis der Erkenntnis› über die ‹Natur des Menschen› und die ‹Pädagogik› bis hin zur ‹Christologie›.

Vom Denken zum Hellsehen

Zu Beginn seines Ansatzes richtet Troxler seine Aufmerksamkeit und seine Meditation auf die Fähigkeit des Denkens. Was ist Philosophieren? Was ist Erkennen? Was ist Denken? Zunächst geht es darum, die geistige Aktivität der menschlichen Natur in ihrem ganzen Potenzial zu erkennen: «Das Denken als selbständiger und freitätiger Prozess des Erkennens ist etwas weit Mächtigeres und Herrlicheres, als wie man es sich gewöhnlich vorstellt.» Dieses menschliche Denken, das in der industriellen Zivilisation in großem Maßstab eingesetzt wird, um die Außenwelt zu verstehen und umzugestalten, bleibt jedoch das unsichtbare, unbeobachtete Element der menschlichen Aktivität. Es geht also darum, die Aufmerksamkeit auf das denkende Subjekt zu richten, auf den Denkprozess als solchen.

Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen.

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Bild Ignaz Paul Vital Troxlers von Fr. Buser. Stich von J. Siebert, um 1850. Österreichische Nationalbibliothek, Public Domain Mark 1.0.