Wir Menschen – eine offene Frage
Jedes Jahr im Herbst nimmt das Goetheanum neue Studierende für das drei Trimester dauernde Anthroposophiestudium auf. In dessen Zentrum stehen Exkursionen nach Chartres, Paris, Weimar und Buchenwald. Sie erweitern und kontextualisieren Steiners Werk, bringen Anthroposophie in den Dialog mit Werken und machen sie für alle Interessierten zugänglich.
Das Anthroposophiestudium am Goetheanum bringt generationsübergreifend internationale Studierende mit Fächern und Lehrenden aus verschiedenen Disziplinen zusammen. Die Kurse werden in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Sektionen der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum angeboten und ermöglichen einen zeitgemäßen, offenen Zugang zum Studium der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners. Teilnehmende und Lehrende begeben sich gemeinsam in einen Raum, um sich und die Kursinhalte Schritt für Schritt zu verstehen. So baut sich Vertrauen in das gemeinsame Lernen auf, trotz aller Unterschiede der Sprachen, der vielen Übersetzungen, der unterschiedlichen Verwendung der Unterrichtssprache Englisch und der verschiedenen Erfahrungsniveaus mit der Anthroposophie. «Wir kommen jeden Wochentag morgens zusammen, um das Buch ‹Theosophie› zu studieren – dasselbe Buch in mindestens 15 verschiedenen Übersetzungen. Diese unglaubliche Vielfalt an Sprache und Referenzmaterial war anfangs etwas entmutigend, umständlich und sogar lächerlich. Wie können wir ein Buch studieren, wenn wir alle verschiedene Bücher haben? Nach einiger Zeit sahen wir darin eine Metapher für das, was wir studieren. All diese Unterschiede, die man als Diskrepanzen betrachten könnte, kann man auch in Offenheit und Positivität angehen. Die Herausforderung, eine gemeinsame Sprache (Englisch) zu verwenden, die für die meisten von uns ungewohnt ist, erfordert, dass wir unsere Aufmerksamkeit ganz bewusst auf das Verstehen richten. Unsere Lehrenden leiten das Denken und verweben all diese bunten Fäden zu erkennbaren Mustern, die uns die Weisheit offenbaren.» So beschreibt es ein Student.
Was bedeutet es, Mensch zu sein?
Im Frühjahrstrimester reisen die Studierenden zu den Wurzeln von Steiners Wirken nach Weimar – eine Stadt, die für die deutsche Geistes- und Kulturgeschichte von zentraler Bedeutung ist. Hier begegnen ihnen Goethe, Schiller und Nietzsche nicht nur als historische Figuren, sondern als lebendige Dialogpartner in Steiners Werk und Leben. Die Reise kontextualisiert Steiners frühe philosophische Schriften. Auch seine Auseinandersetzung mit Erkenntnistheorie, Individualismus und Ethik, die für sein späteres Werk und für uns heute zentral bleiben, fließen ein. Wir vertiefen zudem das Verständnis für Rudolf Steiners persönliches Streben. Seine Arbeit in Weimar und das, was er dort entwickelte, führte schließlich zu seiner Verbindung mit der Theosophischen Gesellschaft und zur Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft. «Die Reise nach Weimar war nicht eine Reise zu einem Ort, sondern ein Kontinuum. Der Raum wurde wirklich zur Zeit. Es entstand eine Vielzahl von Inspirationen. Es war eine lebendige Zeit, in der das Hören verstärkt wurde. Die Intervalle zwischen den Zeiten waren voll von Möglichkeiten», resümiert eine Studentin.
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen. Falls Sie noch kein Abonnent sind, können Sie die Wochenschrift für 1 CHF/€ kennenlernen.