Auf Wahrnehmung beruhende Intuitionen

Auf Wahrnehmung beruhende Intuitionen

28 Januar 2024 Jean-Michel Florin 2658 mal gesehen

Das Projekt ‹Aktives Wahrnehmen als Grundlage für ein freies Handeln in der Landwirtschaft› will eine Grundlage für verantwortungsvolles Handeln schaffen.


Das derzeitige Klima-Chaos, das mit verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Unsicherheiten einhergeht, erschwert zunehmend die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte. Es wird immer schwieriger, sich auf vermeintlich bewährte Rezepte zu verlassen. Zum Beispiel ist das Wetter so wechselhaft, dass man kaum wissen kann, welche Kulturen gut gedeihen werden. Wie können die Landwirtinnen und Landwirte ihre Wahrnehmung des Zustandes des Hofes, des Bodens, der Pflanzen und der Tiere so schulen, dass sie trotz der Unsicherheiten passende Entscheidungen treffen?

Heute ist ‹Smart Agriculture› im Trend, die mit Datenmonitoring und ferngesteuer­ten Entscheidungen anhand von Algorithmen arbeitet. Ihr erklärtes Ziel ist, genauer und sauberer zu arbeiten. Dadurch wird menschliches Handeln immer mehr von Maschinen gesteuert. Der Mensch verliert seine Souveränität sowie die Verantwortung für die Konsequenzen seines Handelns. Auch wenn sie Datenmonitoring nutzen kann, möchte die biodynamische Landwirtschaft die eigene Wahrnehmung schulen und dadurch selbstverantwortliches Handeln ermöglichen. Hinzu kommt die Individualisierung der Maßnahmen. Das heißt, dass die Landwirtinnen und Landwirte ihre Höfe immer besser beobachten sollen, um deren Potenzial stärker entfalten zu können.

Im ‹Landwirtschaftlichen Kurs› (GA 327) gibt Rudolf Steiner einen Hinweis, den viele erfolgreiche biodynamische Landwirtinnen und Landwirte mehr oder weniger bewusst verfolgen: «Nehmen wir nun einen Bauern, […], der geht über seinen Acker. Ja, der gelehrte Mann sagt, der Bauer sei dumm, aber in Wirklichkeit ist das nicht wahr, einfach aus dem Grunde nicht wahr, weil der Bauer […] eigentlich ein Meditant ist. Was er in seinen Winternächten durchmeditiert, das ist sehr, sehr vieles. Und er eignet sich das schon an, was eine Art Erwerben geistiger Erkenntnis ist. Er kann es dann nur nicht aussprechen. Und das ist so, dass es plötzlich da ist. Man geht durch die Felder, und plötzlich ist es da. […] Und an solche Dinge muss eigentlich angeknüpft werden.» (GA 327, 11. Juni 1924, 2022, Seite 65)

Innere Wahrnehmung des Hofes

Es ist gerade das, was wir in unserem Forschungs­projekt versuchen. In einem Vorprojekt zum Thema ‹Landwirtschaftliche Individualität› haben wir einige erfahrene Landwirtinnen und Landwirte besucht und mit ihnen Tiefeninterviews geführt gemäß der Methode der qualitativen Sozial­forschung (noch nicht veröffentlicht).

Dabei sind erste sehr spannende Erkenntnisse entstanden, zum Beispiel, dass jede/r Landwirt/in einen eigenen Ansatz, eine eigene ‹Tür› zur inneren Wahrnehmung des Hofes hat, die dann manchmal zu ‹Intuitionen› beziehungsweise wichtigen Entscheidungen führt. Oft geschieht diese ganzheitliche Wahrnehmung während einer rhythmischen Tätigkeit (wie Melken oder Über-die-Felder-Gehen) oder an einem besonderen Moment des Tages. Zwei Beispiele können dies illustrieren:

«Zum Beispiel muss ich entscheiden, wo die Ziegen als Nächstes grasen werden. Die Entscheidung entsteht bei der Arbeit mit der Herde. Ich bekomme eine Empfindung für das Ganze. Ich bekomme eine Ahnung von der Zukunft: wie die Pflanzen wachsen werden auf den Wiesen.» (EF)

«Zwischen Weihnachten und Neujahr ist die Verbindung zum Land besonders intensiv. Wenn ich dann über mein Land gehe, bekomme ich für das kommende Jahr die richtige Inspiration. Der Erdenort sagt mir dann, was er braucht und was zu tun ist.» (MH)

Konkrete Wahrnehmungen

Wir möchten diese Pilotstudie um bestimmte Themen (Boden-, Pflanzen- und Tierwahrnehmung und dergleichen) erweitern und die Ergebnisse davon so verarbeiten, dass sie konkrete Anregungen geben für Landwirtinnen und Landwirte, Beraterinnen und Berater sowie Ausbilderinnen und Ausbilder, damit die aktuellen und zukünftigen Landwirtinnen und Landwirte lernen, wie sie anhand der konkreten Wahrnehmung vor Ort freie und verantwortungsvolle ‹In­tuitionen› für ihre wichtigen Entscheidungen gewinnen können.


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100 Jahre Hochschule und ihre heutige Forschung

Mit der Weihnachtstagung 1923/24 wurde auch die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft inauguriert. Im Vorfeld der 100-Jahr-Feier hat die heutige Goetheanum-Leitung aktuelle Forschungsvor­haben der Hochschule in der Broschüre ‹Einblicke› dokumentiert. Einige der Projekte werden in ‹Anthroposophie weltweit› vorgestellt, beginnend mit Projekten zur Wahrnehmungs­schulung.
Sebastian Jüngel