Die Erde lebt
Ein biologisch-dynamisch bewirtschafteter Hof versteht sich als Organismus, als ein Lebewesen. Mit der Jahrestagung ‹Die Erde als Lebewesen› vom 5. bis 8. Februar fragen die Bauern, Gärtnerinnen, Händlerinnen und Produzenten, ob jenseits der Hofgrenze dieser Organismus-Begriff im größeren Maßstab gilt und somit der einzelne Hof Teil eines umfassenderen Organismus ist. Es ist der dritte Schritt einer mehrjährigen Besinnung und Bestimmung biologisch-dynamischen Arbeitens. Fragen an die beiden Sektionsverantwortlichen.
Was bedeutet es, die Idee des landwirtschaftlichen Organismus größer zu fassen?
Ueli Hurter Wenn wir jeden Hof als Organismus, als lebendige Identität verstehen, dann bedeutet das, diesen Ort als Repräsentant der ganzen Erde zu begreifen. Der Hof als Individualität spiegelt die große Individualität, die Erde. Das gilt für uns Menschen ebenso: Ich begreife mich umso mehr als Individualität, je mehr ich die große Welt in mir trage. Je mehr ich Repräsentant aller Individualitäten bin, des Menschseins, desto mehr vermag ich mich als ich zu verstehen. Wenn wir das auf den Höfen anwenden, dann ist der Hof der Ort, wo sich verwirklicht, was die Erde ist: ein Lebewesen.
An der Jahrestagung vollzieht ihr das auf drei seelischen Ebenen. Was heißt das?
Eduardo Rincon Die Erde als lebendiges Wesen zu verstehen, das war von Rudolf Steiner bahnbrechend, denn es geschah ein halbes Jahrhundert, bevor in den 60er-Jahren dieser Gedanke mit James Lovelock in der Wissenschaft aufkam. Wichtig ist nun, die Erde in ihrer Lebendigkeit auch wahrnehmen zu lernen. Dafür müssen wir innere Arbeit leisten, um diesen Zugang zum Leben der ganzen Erde zu finden. In der Landwirtschaft arbeiten wir die ganze Zeit mit dem Lebendigen und haben so die Möglichkeit, die Erde durch unsere tägliche Arbeit tatsächlich als lebendiges Wesen zu erfahren. Das gelingt uns, wenn wir zugleich durch Anthroposophie unser Denken lebendig machen.
Was bedeutet es, dass wir durch die Raumfahrt die Erde von außen sehen konnten?
Rincon Dieser Anblick der blauen Murmel im All war eine Wende. Da zeigte sich die Erde in unbeschreiblicher Schönheit. Aber vergessen wir nicht: Das ist ein Anblick von außen und damit eine ähnlich reduktionistische Betrachtung wie die materielle Landwirtschaft. Es geht darum, die Erde von innen, von ihrem Leben her zu erfahren. Das ist viel mehr als solch ein Flug. In der Landwirtschaft ist alles aufeinander bezogen. Beziehung ist alles! Als Landwirt, als Gärtnerin hilfst du der Erde, Leben hervorzubringen. Dabei geht es um all die Einflüsse aus der Peripherie, die wirksam werden und an denen eine ganze Gemeinschaft von Menschen beteiligt sind. Da ist ein Netz des Lebens zu spüren, von dem James Lovelock spricht. So steigert sich das eigene Leben, denn indem du Lebensmittel produzierst, die lebendiges Denken fördern, die Gemeinschaften fördern, die die Vielfalt auf dem Hof fördern, zeigt sich Leben auf verschiedenen Ebenen.
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen. Falls Sie noch kein Abonnent sind, können Sie die Wochenschrift für 1 CHF/€ kennenlernen.
Bild Ueli Hurter und Eduardo Rincon