Eine Weihnachtsbetrachtung
Vor 100 Jahren gab Rudolf Steiner den Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft den ‹Grundsteinspruch›. In vier Strophen wandte er sich an die Gesellschaft. Die vierte Strophe bildet die Umwandlung, aber auch die Mitte des Textes – in ihr leuchtet das Weihnachtslicht erstmals auf.
Wie anders klingen im Grundsteinspruch nach dem dreimaligen Aufruf «Menschenseele! […] Übe […]» in den drei ersten Strophen die ersten Worte der vierten Strophe: «In der Zeiten Wende trat das Welten-Geistes-Licht in den irdischen Wesensstrom […]». Während wir uns in den drei Sphären der Tiefe, des Umkreises und der Höhe in der Welt des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes durch Raum, Zeit und Ewigkeit bewegt haben, tritt jetzt der Moment der Inkarnation des «Welten-Geistes-Lichtes» auf der Erde hervor. In diesem Augenblick hat sich die Zeit ‹gewendet›. Das Welten-Geistes-Licht ist Teil der Geschichte der Erde und der Lebenszusammenhänge geworden, in denen irdische Wesen leben. Es gibt seither ein klar zu bezeichnendes Vorher und Nachher, denn die Menschheit wäre ohne das Opfer des Christus leiblich verhärtet und verdorrt.
Wenn es zu Beginn des Johannesevangeliums heißt: «Im Urbeginne war das Wort», so ist hier von einem Uranfang die Rede, der als fortwährend weiterwirkend und strömend empfunden werden kann. Das Wort ruhte damals noch in der Zeitlosigkeit Gottes, war selbst noch ‹ein Gott›. Nun tritt es in der Zeiten-Wende als Welten-Geistes-Licht in den irdischen Strom der Zeit ein und verkörpert sich in einem Menschenleib. Die Schilderung des Prologs, dass das Licht in die Finsternis geschienen habe, wird hier durch die Inkarnation des kosmischen Christuswesens eine Wirklichkeit, die fortan auf Erden den Menschen wärmen und erleuchten kann.
Die vierte Strophe spricht so unmittelbar zu unserem Herzen. Während der große Welten-Atem in den ersten drei Strophen des Grundsteinspruchs eine Herausforderung darstellt und uns auffordert, unser eigenes Ich im Zusammenhang mit dem Vater-Geist, mit Christus, mit dem Heiligen Geist und den Hierarchien in einem Zusammenklang erleben zu lernen und in diesem unser wahres Wollen, Fühlen und Denken zu erlangen, so werden wir hier ganz anders, und zuletzt in ein «Wir» mündend, angesprochen. Die vierte Strophe weist uns auf das göttliche Licht hin, nimmt uns wie in ein Gebet zur Christus-Sonne mit und eröffnet das eigentliche Weihnachtsmotiv der ‹Zeitenwende›.
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen.
Titelbild Urte Copijn, Laut B.