Handeln aus dem Herzen
Um Mut ging es bei der internationalen Schülertagung ‹Courage› von 23. bis 27. April. Rund 650 Schülerinnen und Schüler aus mehr als 30 Ländern tauschten sich über Mut auf verschiedenen Ebenen ihres Lebens aus. Ihre Anliegen gestalteten sie auch öffentlich auf künstlerische Weise auf dem Münsterplatz in Basel.
Frage 1: Was ist Mut? In welchen Situationen bist du mutig, und wo kommt dieser Mut her? Welche Rolle spielt Mut für uns junge Menschen heute, welchen Einfluss haben Mut und Angst auf interkulturelle Begegnungen und persönliche sowie gesellschaftliche Entwicklungen?
Im Begrüßungsvortrag ging Constanza Kaliks, Leiterin der Jugendsektion am Goetheanum, auf den Ursprung des Wortes ‹Courage› ein, welches wörtlich übersetzt ‹Handeln aus dem Herzen› heißt. Diese Definition stieß auf große Resonanz.
Im Foyer konnten die Schüler/innen ihre Antworten zu den jeweiligen Fragen auf Plakate schreiben. Einige der Antworten wurden am nächsten Morgen vorgelesen. Antworten auf Frage 1 waren beispielsweise: «Mut ist es, aus Normen auszubrechen» und «Mut ist die Abwesenheit von Angst».
Wahlmöglichkeit und Entscheidung
Um Angst ging es auch in den Fragen des nächsten Tages. Frage 2: Wie erlebst du Angst und Leichtsinn in dir und der Welt? Wo verlaufen die Grenzen zwischen Mut, Leichtsinn und Angst? Gibt es Situationen, in denen Angst und Leichtsinn hilfreich sein können? Marina Helou, Provinzabgeordnete von São Paulo (BR), erklärte hierzu, dass für sie Mut in Verbindung mit einem Impuls aus dem Herzen stehe, der vom Verstand abgewogen werde. Ohne eine vorhergehende Wahl und eine darauf folgende Verbindlichkeit der Entscheidung oder Handlung gegenüber könne man nicht von Mut sprechen. Dann würde man eher aus Angst oder Leichtsinn handeln.
Einige Antworten auf Frage 2: «Leichtsinn kommt von Unsicherheit, Unsicherheit kommt von Angst.» «Ich erlebe Leichtsinn und Angst in mir selber in Situationen, in denen ich die Kontrolle verliere oder mich alleine fühle.» «Angst ist ein Instinkt und Mut eine Entscheidung.»
Frage 3: Wie würde die Welt aussehen, wenn das, was in dir lebt, Realität würde, und was wirst du tun, damit dies geschieht? Diese Frage, inspiriert von einer Frage Rudolf Steiners, stellten wir am dritten Tag. Zu dieser Frage findet in der Jugendsektion am Goetheanum ein Forschungsprojekt statt (Siehe Immer in Entwicklung in dieser Ausgabe).
Im Vortrag von Helmy Abouleish (Geschäftsführer von Sekem, EG) hörten wir von den beiden Zukunftsströmen Futurum und Adventus. Schauen wir aus dem Futurum heraus, so schauen wir aus der Vergangenheit in die Zukunft. Man kann so die Zukunft als Abfolge logischer Konsequenzen verstehen. Handeln wir aus dem Adventus heraus, so schauen wir, was aus der Zukunft heraus unsere Aufgabe ist beziehungsweise was zu uns kommen möchte.
Einige Antworten zu Frage 3: «Ein Ort der Balance zwischen Geben und Nehmen.» «Eine Welt, in der sich jeder bedingungslos lieben kann.» «Ist es möglich, eine gemeinsame Utopie zu schaffen? Ist meine Utopie möglicherweise die Dystopie [pessimistisches Zukunftsbild] eines anderen?»
Fordernde Freiheit
Die gemeinsame Auseinandersetzung mit diesen Themen führte zu Frage 4: die nach Identität, persönlicher und gemeinsamer. Was ist Identität? Womit identifizieren wir uns, und warum?
Wie können wir ein Verständnis des Selbst entwickeln, das es nicht mehr nötig macht, uns mit äußeren, meist ausgrenzenden Umständen wie Kultur oder Waldorfschülersein zu identifizieren? Was bleibt uns als junge Generation, in der viele mit der durchaus fordernden Freiheit aufgewachsen sind, sich immer weniger an gesellschaftlichen Normen, Religion oder strengen Regeln orientieren zu müssen, noch übrig, wenn wir all das, was ein Wir und Ihr entstehen lässt, loslassen?
Die Frage, wie es sich mit Identität in Gruppen verhält, wurde mit zur ‹Creative Intervention› in Basel gegeben. Die Teilnehmenden wurden eingeladen, sich als Teil einer Gruppe im Kontakt mit Außenstehenden zu beobachten. Dort fiel eine große Offenheit und Wärme nach innen wie nach außen auf, die von der Gruppe ausging. Nicht ausgesprochenes Fazit könnte also sein, dass es möglich ist, Teil einer fest definierten Gruppe zu sein und gleichzeitig eine Bereicherung für Außenstehende. Dass es möglich ist, eine Wärme in sich und nach außen zu tragen, die die Frage nach Innen und Außen irrelevant erscheinen lässt.
Der Musiker und Journalist André Stern sprach anschließend über die freie Entwicklung des Kindes, wobei die Frage aufkam, inwiefern Erziehung und Bildungsinstitutitionen dieser im Wege stünden. Wie stehen Erziehung und Bildung im Zusammenhang mit der Identitätsfindung eines Kindes?
Abgeschlossen wurde der Tag mit Schüleraufführungen von Gruppen aus verschiedenen Ländern. Dabei bedankte sich eine Schülerin aus Brasilien für die Waldorfpädagogik und die Möglichkeit, sich in ihrer Schule in Brasilien frei entfalten zu können.
Für seine Ziele kämpfen
Am letzten Tag stellten wir noch einmal Frage 1: Was ist Mut? In den Schülervorträgen wurde nach fünf Tagen Diskussion die Essenz dessen, was auf der Tagung gelebt hat, veranschaulicht. Lorena Carazo aus Spanien sagte, wie wichtig es sei, immer wieder kritisch zu hinterfragen, mit welcher inneren Haltung man der Welt entgegentrete. Wenn Hass über Fehler anderer die treibende Kraft hinter meinem Handeln sei, könne die Botschaft in meinem Tun keine Botschaft der Liebe sein.
Pedro Munizaga Sgombich, ein Schüler aus Chile, schloss die Vorträge mit der Ermutigung, auch in Zeiten der Dunkelheit für seine Ziele zu kämpfen und die Dunkelheit als notwendiges Gegenstück zum Licht zu sehen und als Chance für die eigene Entwicklung und die der Welt.
Einige Antworten auf die Frage: «Mut ist es, ein Risiko einzugehen, um Veränderung zu schaffen.» «Mut ist Vertrauen in dich und die Welt.» «Mut braucht Liebe und Liebe braucht Mut.»
Die Frage ‹Kann Mut zur Freiheit führen?› haben wir den Teilnehmenden mit auf den Weg gegeben.
Ronja Eis und Till Höffner, Mitarbeitende der Jugendsektion und Hauptorganisatoren der Tagung ‹Courage›