Inklusiv sein heißt, lernen, Mensch zu sein
Bart Vanmechelen ist Mitglied des Leitungsteams der neu gegründeten Sektion für Heilpädagogik und inklusive soziale Entwicklung am Goetheanum. Geprägt von sozialem Verantwortungsgefühl und beflügelt von seiner Begeisterung für die geistigen Tiefen sieht er heute inklusive soziale Entwicklung als menschliches Gesamtkunstwerk.
Franka Henn In Vorbereitung auf unser Gespräch ging es um Selbstporträts. Du hast mir ein Selfie geschickt, das dich mit einer zu kleinen Wollmütze, die wie eine Antenne auf deinem Kopf nach oben zeigt, darstellt. Immer wieder, wenn wir uns kurz sehen, fällt mir dieses Herzliche, auch Kecke an dir auf. Woher rührt dein Humor?
Bart Vanmechelen Das lebt in unserer Familie sehr. Man darf sich selbst nicht zu ernst nehmen. Wir sind gern fröhlich und gesellig. Die Mütze hat meine Frau gestrickt, aber sie war noch nicht fertig. Ich habe sie aufgesetzt, weil mir kalt war. Dann sah ich, wie ich sie wie eine Antenne formen konnte. Für mich war das auch eine schöne Metapher: Ich fühle mich mit der Welt ‹da oben› verbunden.
Aber in unserer Familie leben zwei Seiten. Einerseits sind wir alle sehr engagiert und pflichtbewusst. Das bedeutet, dass wir zuverlässig und für andere da sind. Meine Mutter war Kindergärtnerin und später Schulleiterin an einer Schule mit vielen Klassen. Mein Vater war Sozialarbeiter. Beide kamen aus einfachen Verhältnissen in Belgien und konnten dank der Kirche studieren. Das hat sie sehr geprägt. Der Priester besuchte damals die Familien, und wenn er den Eindruck hatte, dass ein Kind intelligent war, ermöglichte er ihm eine höhere Ausbildung. Meine Eltern waren während ihres gesamten Berufslebens von dieser Dankbarkeit erfüllt. Sie wollten der Gemeinschaft deshalb etwas zurückgeben. Andererseits heißt dankbar sein auch, das Leben zu genießen. Dafür ist Humor sehr wichtig. Das ist auch eine belgische Art. Die Kunst des Humors ist ja, Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten – also innerlich flexibel zu sein.
Franka Kannst du uns ein wenig beschreiben, wie dein Umfeld als Kind war und was dich geprägt hat?
Bart Je mehr ich darüber nachdenke, woher ich komme – wie die Landschaft aussah, wie die Familie war –, desto relevanter finde ich das. Ich wuchs im Norden Belgiens auf, nahe der niederländischen Grenze. Geologisch gesehen ist das eine alte Landschaft, die von der Eiszeit und vom Meer geformt wurde. Heute ist das Meer nicht mehr nah, aber die Landschaft und der Boden sind immer noch karg. In dem kleinen Dorf, in dem ich aufwuchs, ragte eine Sanddüne etwa 40 Meter in die Höhe. Das war für uns Kinder wie ein großer Sandkasten. Es gehört zu meinen schönsten oder intensivsten Kindheitserinnerungen. Mit der Kindergartengruppe liefen wir etwa zwei Kilometer bis zur Sanddüne und spielten dann den ganzen Tag in der Sonne. Daneben, unter großen Bäumen, steht eine kleine Kapelle, zu der auch viele Menschen pilgerten. In ihr befand sich ein Bild von Maria mit dem Kind. Das alles hat sich tief in meine Seele eingeprägt: in der Sonne, draußen in der Natur zu sein, mich so getragen zu fühlen, wie die heilige Mutter ihr kleines Kind trägt, ein Teil dieser Welt und des Kosmos zu sein, dazuzugehören und mich sicher zu fühlen.
Ebenfalls wichtig war, dass der Boden karg war. Der Vater meines Vaters war Bauer gewesen, aber irgendwann warf der Boden nicht mehr genug ab, um einen Bauernhof zu erhalten. Mein Großvater musste mit seiner Familie den Hof verlassen und Arbeit in einer Fabrik suchen. Das war für ihn sehr schwer. Am Ende starb er an einer Staublunge. Es ist eine echte Tragödie, wenn die Natur uns nicht ernähren kann. Es ist riskant und gefährlich. Das hat auch mein Interesse für Nachhaltigkeit, Landwirtschaft und Naturschutz geweckt.
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen. Falls Sie noch kein Abonnent sind, können Sie die Wochenschrift für 1 CHF/€ kennenlernen.
Empfehlung Keine Zeit zum Lesen? Sie können dieses Interview (Original auf Englisch) auch in unserem Podcast ‹Anthroposophy to the Point› auf Spotify, Apple Music oder auf unserer Website dasgoetheanum.com unter ‹Podcast› anhören.
Titelbild Bart Vanmechelen am Goetheanum, Foto: Xue Li