Leben zusammen gestalten

Leben zusammen gestalten

30 Mai 2023 Gerald Häfner 2984 mal gesehen

Familie? Wie geht das? Wie wollen wir zusammen leben? Nichts ist mehr festgelegt. Niemand möchte einfach in alten Bahnen und nach vorgegebenen Mustern leben. Die Reihe der Familien-Festivals der Sektion für Sozialwissenschaften bietet Räume zum Austausch über ‹Familie heute›.


Wir wollen frei sein, selbstbestimmt, unser Schicksal ergreifen, die Welt erobern. Wir haben unsere Bestimmung mitgebracht. Sie liegt in uns – wie unsere Freiheit. Niemand kann uns vorschreiben, wie wir zu leben haben. So stehen wir heute in der Welt. Und doch wollen wir keine Einsiedler/innen und Monaden sein, nicht allein durchs Leben gehen. Eine Welt von Einzelgänger/inne/n wäre kalt, fremd und öde. Sie bliebe unfruchtbar. Wir Menschen sind nicht Einzelgänger, sondern Beziehungswesen. Wir brauchen einander – so notwendig wie die Luft zum Atmen oder das Licht und die Nahrung zum Leben.

Erst recht brauchen uns die Kinder. Sie wollen und sie brauchen Gemeinschaft.

Je mehr die Individualisierung voranschreitet, je stärker heute die Kraft und der Wille zum selbstbestimmten Leben in jeder/m Einzelnen wachsen, desto dringender und größer wird die Aufgabe, das Zu­sammenleben bewusst und gut zu gestalten.

Urzelle menschlichen Zusammenseins

Damit stellt sich die Frage neu: Wie können und wie wollen wir Familie leben? Sie wird entscheidend – sowohl für unser Leben wie für die Zukunft des Lebens und der Menschheit überhaupt. Die Familie ist die Keimzelle des Lebens, die Urzelle menschlichen Zusammenseins. Sie schenkt uns die Hülle für den Leib, für das Leben und für die Seele. Von der Geburt bis zum Tod ist sie da, trägt und umgibt uns. Sie ist zugleich Geschenk, Schicksal und Aufgabe. Sie ist nichts fertig Vorhandenes, Gegebenes, sondern unsere eige­ne immer neu zu bildende Hervorbringung.

Gerade in der für viele Menschen höchst dramatischen Zeit der Pandemie konnten wir erleben, wie essenziell wichtig dieser engste persönliche Umkreis ist, dieser Raum, in dem wir einander stützen, begleiten und tragen, in dem wir uns umeinander kümmern und füreinander da sind, in dem wir nacheinander schauen, uns Liebe, Zu­wendung und Vertrauen schenken und uns an- und miteinander entwickeln.

Doch Familie kann uns nicht nur Entwicklung ermöglichen, sie kann sie auch verhindern. Sie kann zum Käfig, ja zur Hölle werden. Gar manche/r kennt das aus eigener Erfahrung. Manche/r hat auch deshalb Angst, eine Familie zu gründen, weil er/sie den eigenen Kindern nicht antun will, was ihr/ihm angetan wurde.

Familie folgte früher festen Vorstellungen. Für den Mann, für die Frau gab es genau vorgezeichnete Rollen. Was zählte, waren nicht die eigene Weltsicht, nicht das eigene Lebensziel und Glück, sondern die Erfüllung einer vom Staat, von der Kirche, von wirtschaftlichen Zwängen und von den Vor­stellungen der Umwelt und der Verwandten bestimmten, vorgegebenen Struktur und Rolle. Diese Formen wurden lange noch von Generation zu Generation weitergegeben – in Form von Belehrungen durch die Alten, durch den Priester oder gern auch durch Bücher, die die Partner/innen über die Rollen­verteilung innerhalb von Ehe und Familie und ihre eigenen Pflichten darin entsprechend ihrer geschlechtlichen Bestimmung minutiös belehrten.

Frei und selbstbestimmt die eigene Aufgabe finden

Heute ist das zum Glück anders. Es gibt nicht mehr das eine, fixe Bild von Familie. Die starre Form ist aufgebrochen, einst fest verteilte Rollen sind austauschbarer und durchlässiger geworden. Männer dürfen heute zart und verletzlich, Frauen selbstbewusst und bestimmend sein. Die Auf­gaben- und Arbeits­teilung ist nicht vorgängig schon festgeschrieben, sondern kann frei ver­handelt und verwandelt werden.

Nicht jede Familie entspricht mehr dem herkömmlichen Schema ‹Mama – Papa – Kind›. Viele sind alleinerziehend, andere leben in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder in Patchworkfamilien, wieder andere wählen Groß- oder Mehr-Genera­tionen-Familien, bilden Wohn- und Lebensgemeinschaften oder ziehen in Ökodörfer.

Es gibt keinen objektiven Maßstab, kein ‹richtig› oder ‹falsch› mehr. Nur noch die Frage: Welche Erfahrungen machen wir? Wie geht es uns und unseren Partner/in-n/en? Was brauchen und was lernen wir? Was brauchen unsere Kinder?

Die Fragen sind größer und schwieriger geworden. Gerade weil es nicht mehr die eine, jahrhundertelang überlieferte, sondern immer mehr unterschiedliche Formen gibt, stellt sich heute weit drängender die Frage: Wie will ich leben? Oder: Wie kann ich frei und selbstbestimmt die eigene Aufgabe, meinen eigenen Weg im Leben finden – und doch auch Verbundenheit, Treue und Verläss­lichkeit finden, erleben und weitergeben?

Vor allem unsere Kinder brauchen beides: selbstbestimmte – und verlässliche Erwachsene. Wie können wir solche Verläss­lichkeit miteinander leben, ohne einander dabei in das Gefängnis fester Erwartungen, moralischer Wertungen oder vorgeprägter Formen zu sperren? Können wir einander freilassen und stützen? Uns an- und miteinander entwickeln?

Diese und ähnliche Fragen wollen wir miteinander bewegen. Wir laden dazu im Sommer an das Goetheanum ein, in der schönsten Zeit, wenn der Park in Blüte steht und für Eltern wie Kinder einen wunderbaren Rahmen bildet für unser Familien-Festival am Goetheanum.


Familien-Festival Leben zusammen gestalten!, 29. Juli bis 1. August 2023, Goetheanum