Nie wieder Krieg – Für ein Europa jenseits der Mächte
Die Krise in der Ukraine spitzt sich weiter zu. Welche Rolle spielt Europa? Sich nicht zwischen den beiden Lagern von Ost und West aufreiben zu lassen, wäre für Europa eine Chance. Dazu braucht es jetzt die richtigen politischen Ideen und Entschlusskraft. Louis Defèche sprach dazu für die kommende Ausgabe der Wochenschrift mit Gerald Häfner.
Wie siehst du die Situation in und mit der Ukraine?
Gerald Häfner Die Situation ist dramatisch. Das sind gefährliche Entwicklungen, die sich dort vollziehen. An der Grenze zwischen Russland und der Ukraine sind über 100 000 Soldaten aufmarschiert. Ost und West überbieten sich mit Forderungen und Drohungen. Der Ton wird unduldsamer und heftiger. Ich bin entsetzt darüber, wie leichtfertig auch mitten in Europa heute in den Medien wieder über Krieg geredet, ja wie fahrlässig der Krieg sogar herbeigeredet wird. Ich halte das für einen Rückfall in eine Zeit, die ich für überwunden hielt.
Das Problem ist ja schon ein paar Jahrzehnte da. Kannst du erklären, wie es entstand?
Das Problem reicht weit zurück. Wenn wir einmal nur auf die letzten Jahrzehnte schauen, müssen wir uns vergegenwärtigen: Es gab einen Zeitraum von etwa 45 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem Europa geteilt war durch Mauer und Stacheldraht und sich beide Seiten waffenstarrend gegenüberstanden. Es war die Zeit des Kalten Krieges, der ‹Blocklogik›. Im Jahr 1989 sollte sich das ändern. Da haben nicht das Militär, die Geheimdienste oder die Regierungen, sondern die Bürgerinnen und Bürger, zivile Menschen, diese Logik überwunden. Mit Kerzen, mit Liedern auf den Straßen begann diese Bewegung etwa im Osten Deutschlands. Es gab parallele, teils noch frühere Bewegungen im Baltikum, in Armenien, in Georgien, in Polen, in der Ukraine und noch weiteren Ländern, um sich aus dieser Logik zu befreien. Es war eine Bewegung für Selbstbestimmung, Freiheit, Demokratie, Kooperation und Zusammenarbeit in Europa. Die Mauer fiel und Deutschland wurde wiedervereinigt.
Damals war ich im Bundestag. Zuerst gab es formelle Gespräche ja nur auf Ebene der Regierungen, also mit dem Instrumentarium der Außenpolitik. Ich sah die Geschehnisse aber als eine Frage künftiger Innenpolitik und damit der Demokratie, des Parlaments. Es ging schließlich um die Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft. Auf meinen Vorschlag hin hat der Bundestag dann einen Sonderausschuss Deutsche Einheit eingerichtet, der die ganzen Beratungen begleitet hat. Ich wurde dann mit drei anderen Kollegen Berichterstatter des Deutschen Bundestages für die Einheit, erhielt also den Auftrag, die Verhandlungen eng zu begleiten, dem Bundestag zu berichten und Vorschläge für den Weg zur künftigen Einheit Deutschlands seitens des Parlaments zu entwickeln. Eine entscheidende Frage war, ob die Sowjetunion – vertreten durch Michail Gorbatschow – ihre Zustimmung zur Einheit Deutschlands geben würde, so dass, was bisher Aufmarschgebiet des Ostens war, also die DDR, künftig Teil der Bundesrepublik Deutschland würde. Die Zustimmung wurde erteilt unter der Bedingung, dass die NATO, also das westliche Militärbündnis, nicht weiter nach Osten vorrückt. Das ist damals so besprochen, aber nicht schriftlich fixiert worden. Teilnehmende beider Seiten haben das bestätigt.
Dieser Text ist ein Auszug aus einer Vorpublikation der Wochenschrift ‹Das Goetheanum›. Sie können den vollständigen Artikel auf der Website der Wochenschrift lesen.
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