Weltenmitternacht auf sechs Metern Höhe

Weltenmitternacht auf sechs Metern Höhe

10 Dezember 2025 Wolfgang Held & Christian Peter 31 mal gesehen

Christian Peter spielt seit 48 Jahren in den Mysteriendramen und verantwortet seit 18 Jahren das Schauspiel in den Dramen. Sieben Fragen an ihn von Wolfgang Held.


Schmerzt es dich, dass Rudolf Steiner seine Dramen nicht vollständig schreiben konnte?

Das ist ja die Frage, ob er tatsächlich dieses Vorhaben hatte, sieben oder womöglich zwölf Dramen zu schreiben. Bekannt ist, dass er ein nächstes Drama an der Kastalischen Quelle bei Delphi spielen lassen wollte. Wenn man ein Verständnis für Geschichte hat, dann zählt allein, was ist, und nicht, was hätte sein können. Genauso ist es mit der Unvollendeten Sinfonie von Schubert: Sie ist vollständig! Das Leben ist anders, als man sich vorgestellt hat, deshalb haben solche Vorstellungen, wie die von weiteren, hypothetischen Dramen, für mich keine Relevanz. Da ist es für mich stimmig, dass Rudolf Steiners viertes Drama uns in eine Lebenslage führt, in der wir uns heute befinden. Nach dem Krieg wollte er die vier Dramen am Goetheanum aufführen (Sommer 1923), was aber dann durch den Brand des Ersten Goetheanum nicht möglich war. Es wäre eine Wiederaufnahme geworden, denn die Kulissen waren ja alle eingelagert und die Kostüme hatte man noch. Die Schauspieler waren bereits angefragt. Vielleicht hätte er, wenn die Aufführung stattgefunden hätte, die Geschichte weitergeschrieben. Das sich heute auszudenken, finde ich nicht fruchtbar. Albert Steffen hat da einen interessanten Ansatz verfolgt, indem er mit eigenen Stücken aufgriff, wovon in den Dramen die Rede war.

Was bedeutet für dich die Tradition im Spiel der Dramen?

Man muss verstehen, dass Steiner die Dramen direkt vor den Aufführungen schrieb. Er hatte die Menschen, die diese Rollen spielten, vor sich und hat in die Probenarbeit hinein den Text geliefert. Es gibt diese Anekdote des Schauspielers Gümbel-Seiling, der neben seiner Rolle als Strader noch die Stimme des Gewissens sprach, dass Rudolf Steiner im zehnten Bild Hüter kurzfristig noch einen Text für die Stimme des Gewissens einfügte. Als ihn Gümbel-Seiling darauf aufmerksam machte, dass er das nicht sprechen könne, wies Steiner spontan diesen Text der ‹Anderen Philia› zu. Deswegen sollte man vorsichtig sein, Rudolf Steiners Schritte für sakrosankt zu erklären. Ein weiteres Beispiel: Der Herrenausstatter damals hatte für die vorgesehene rostrote Farbe des Jackets von Dr. Strader nur Samtstoff. Deswegen hat bis in die Achtzigerjahre hinein Strader ein Samtjackett getragen, nur weil es zu Steiners Zeit in München keinen anderen Stoff gab. So sind manche Dinge in den Dramen aus der damaligen Situation entstanden. Einfach Dinge zu ändern bzw. zu belassen, ohne das ‹Warum› zu erkennen, scheint mir unter dem Aspekt der Entwicklung nicht angemessen.

Was macht die Mysteriendramen modern?

Jede der Figuren steht in inneren Fragen und Konflikten, die wir heute gut kennen. Ich nehme einmal die Gestalt des Hilarius im vierten Drama als Mensch unserer Zeit. Er will etwas Gutes für die Menschheit schaffen, aber er schöpft mit seinem eigenen Wollen ganz aus sich, es ist sein Projekt, nicht das der Menschen, deshalb scheitert er. Er vermag es nicht, in Resonanz mit seinen Mitmenschen zu kommen. Er steht sich selbst im Weg.

Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen. Falls Sie noch kein Abonnent sind, können Sie die Wochenschrift für 1 CHF/€ kennenlernen.


Veranstaltung Erkenntnis ist auf jeder Lebensstufe anders

Bild Mysteriendramen 2023, Foto: Georg Tedeschi